"Die verbotene Wahrheit" über Osama bin Laden:
Wie Geheimdienstexperten gefloppte Tauschgeschäfte der Amis mit den Taliban aufdecken
Autorin: Claudia Kuhland
Lange vor den Terroranschlägen auf New York und Washington haben die USA konkrete Pläne für die politische Zukunft Afghanistans geschmiedet. Monatelang haben sie mit den Taliban verhandelt und schon vor dem 11. September mit militärischem Druck gedroht. Das jedenfalls haben die beiden Geheimdienstexperten Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié herausgefunden und in ihrem am vergangenen Mittwoch in Frankreich erschienenen Bericht "Ben Laden: La Verité interdite" ("Bin Laden: Verbotene Wahrheit") publik gemacht. Allein in den ersten beiden Verkaufstagen ging das Buch 30.000 Mal über den Ladentisch.
Das Buch
Die beiden Autoren führen aus, dass bereits die Regierung Clinton nach den Anschlägen gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 von den Taliban die Auslieferung des Hauptverdächtigen Osama bin Laden gefordert und im Gegenzug die Anerkennung des Regimes angeboten habe. Hauptziel sei aber nicht die Ausrottung des Terrorismus gewesen, sondern die Stabilisierung der politischen Situation in Afghanistan, um endlich den lange geplanten Bau einer Ölpipeline zwischen Zentralasien und den Weltmeeren realisieren zu können.
Nachdem die Verhandlungen im Sande verlaufen waren, habe George W. Bush sie nach seinem Amtsantritt im Februar 2001 unter dem Einfluss der Öllobby erneut aufgenommen. Jean-Charles Brisard erklärt die Strategie: "Im Grunde sagen die Amerikaner den Taliban: Wir schätzen und brauchen euch, weil ihr Sunniten seid und Saudi-Arabien euch unterstützt. Aber da ihr international geächtet seid, solltet ihr bin Laden ausliefern und etwas von eurer Macht abgeben. Der afghanische König im Exil Sair Schah könnte das Land führen." Tatsächlich seien bereits im Frühjahr 2001 Gespräche mit dem König aufgenommen worden. Der Plan war, unter internationaler Aufsicht ein gemeinsames Regime aller Stämme zu etablieren – ein Szenario, das also nicht erst infolge der Terroranschlägen entworfen wurde.
Laut Brisard und Dasquié kam es bis zum Sommer 2001 zu einer Reihe von Verhandlungen mit den Taliban, an denen auch Vertreter der Vereinten Nationen und der Nordallianz teilgenommen haben. Höhepunkt sei ein Treffen im August 2001 in Berlin gewesen. Doch je klarer sich abzeichnete, dass die Taliban weder einer Beschränkung ihrer Macht zustimmen noch bin Laden ausliefern würden, desto stärker wurde der Druck, mit dem die Amerikaner sie zum Einlenken bewegen wollten. Schließlich hätten die USA mit militärischem Aktionen gedroht. "Wenn die Taliban bin Laden ausliefern und sich mit der Nordallianz einigen, legen wir ihnen einen goldenen Teppich aus. Wenn nicht, ist ein Bombenteppich die Alternative", zitieren die beiden Autoren einen US-Diplomaten. Diese Taktik habe dazu geführt, dass sich die Taliban in die Enge getrieben fühlten – mit dem Ergebnis, dass sie ihre Position radikal verhärteten. Bis zum letzten Moment hätten die Amerikaner die Machtposition Osama bin Ladens und seine Bedeutung für den Talibanführer Mohammed Omar unterschätzt.
Besonders brisant ist Brisards und Dasquiés Vorwurf, dass die amerikanische Regierung die Ermittlungsarbeit des FBI massiv behindert habe. Dabei beruft sich Jean-Charles Brisard auf den ehemaligen Chef der Antiterrorabteilung des New Yorker FBI-Büros, John O’Neill, der über Jahre die Untersuchungen gegen die Terrororganisation Al Quaida geleitet hat. Bei zwei Treffen im Juni und im Juli 2001 habe John O’Neill ihm mitgeteilt, dass nach seinen Erkenntnissen das "Zentrum des Übels" in Saudi-Arabien liege. Das saudische Königshaus spiele eine verbrecherische Doppelrolle: als Unterstützer von Al Quaida und als Partner der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Trotz der erdrückenden Beweise für die engen Verbindungen zwischen der königlichen Familie und Al Quaida habe Amerika die guten Beziehungen zu Saudi-Arabien nicht gefährden wollen, weil es ihm Dank für seine "Treue" und die Öllieferungen schulde. O’Neill habe schließlich den Eindruck gehabt, dass seine Ermittlungen gegen bin Laden von oberster Stelle boykottiert worden seien. Jean-Charles Brisard: "O'Neill sagte mir, er sei völlig frustriert. Ihm schien die Führung des FBI zunehmend dem starken politischen Druck nachzugeben. Der Einfluss der Diplomatie untergrabe seine Arbeit. Es wurde für ihn einfach unerträglich. Er war entschlossen, das FBI zu verlassen und in die Privatwirtschaft zu gehen."
Im August 2001 kündigte John O'Neill und trat einen neuen Job an – als Chef des Sicherheitsdienstes im New Yorker World Trade Center. Dort wurde er bei dem Anschlag vom 11. September getötet.
Die Autoren
Der Wirtschaftsexperte Jean-Charles Brisard (33) verfasste 1997 im Auftrag des französischen Geheimdienstes DST einen Bericht über die geheimen Finanzquellen von Al Quaida, den Präsident Chirac bei seinem Besuch in Washington Ende September dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush übergab. Guillaume Dasquié (35) ist Chefredakteur des Fachdienstes "Intelligence Online", in dem wiederholt unter Berufung auf Geheimdienstkreise über bin Laden berichtet wurde - zum ersten Mal 1996.
Buchtipp
Jean-Charles Brisard et Guillaume Dasquié: "Ben Laden: La Verité interdite."
Editions Denoël, 20 EUR
von: www.wdr.de/tv/kulturweltspiegel/20011118/6.html
Wie Geheimdienstexperten gefloppte Tauschgeschäfte der Amis mit den Taliban aufdecken
Autorin: Claudia Kuhland
Lange vor den Terroranschlägen auf New York und Washington haben die USA konkrete Pläne für die politische Zukunft Afghanistans geschmiedet. Monatelang haben sie mit den Taliban verhandelt und schon vor dem 11. September mit militärischem Druck gedroht. Das jedenfalls haben die beiden Geheimdienstexperten Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié herausgefunden und in ihrem am vergangenen Mittwoch in Frankreich erschienenen Bericht "Ben Laden: La Verité interdite" ("Bin Laden: Verbotene Wahrheit") publik gemacht. Allein in den ersten beiden Verkaufstagen ging das Buch 30.000 Mal über den Ladentisch.
Das Buch
Die beiden Autoren führen aus, dass bereits die Regierung Clinton nach den Anschlägen gegen die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 von den Taliban die Auslieferung des Hauptverdächtigen Osama bin Laden gefordert und im Gegenzug die Anerkennung des Regimes angeboten habe. Hauptziel sei aber nicht die Ausrottung des Terrorismus gewesen, sondern die Stabilisierung der politischen Situation in Afghanistan, um endlich den lange geplanten Bau einer Ölpipeline zwischen Zentralasien und den Weltmeeren realisieren zu können.
Nachdem die Verhandlungen im Sande verlaufen waren, habe George W. Bush sie nach seinem Amtsantritt im Februar 2001 unter dem Einfluss der Öllobby erneut aufgenommen. Jean-Charles Brisard erklärt die Strategie: "Im Grunde sagen die Amerikaner den Taliban: Wir schätzen und brauchen euch, weil ihr Sunniten seid und Saudi-Arabien euch unterstützt. Aber da ihr international geächtet seid, solltet ihr bin Laden ausliefern und etwas von eurer Macht abgeben. Der afghanische König im Exil Sair Schah könnte das Land führen." Tatsächlich seien bereits im Frühjahr 2001 Gespräche mit dem König aufgenommen worden. Der Plan war, unter internationaler Aufsicht ein gemeinsames Regime aller Stämme zu etablieren – ein Szenario, das also nicht erst infolge der Terroranschlägen entworfen wurde.
Laut Brisard und Dasquié kam es bis zum Sommer 2001 zu einer Reihe von Verhandlungen mit den Taliban, an denen auch Vertreter der Vereinten Nationen und der Nordallianz teilgenommen haben. Höhepunkt sei ein Treffen im August 2001 in Berlin gewesen. Doch je klarer sich abzeichnete, dass die Taliban weder einer Beschränkung ihrer Macht zustimmen noch bin Laden ausliefern würden, desto stärker wurde der Druck, mit dem die Amerikaner sie zum Einlenken bewegen wollten. Schließlich hätten die USA mit militärischem Aktionen gedroht. "Wenn die Taliban bin Laden ausliefern und sich mit der Nordallianz einigen, legen wir ihnen einen goldenen Teppich aus. Wenn nicht, ist ein Bombenteppich die Alternative", zitieren die beiden Autoren einen US-Diplomaten. Diese Taktik habe dazu geführt, dass sich die Taliban in die Enge getrieben fühlten – mit dem Ergebnis, dass sie ihre Position radikal verhärteten. Bis zum letzten Moment hätten die Amerikaner die Machtposition Osama bin Ladens und seine Bedeutung für den Talibanführer Mohammed Omar unterschätzt.
Besonders brisant ist Brisards und Dasquiés Vorwurf, dass die amerikanische Regierung die Ermittlungsarbeit des FBI massiv behindert habe. Dabei beruft sich Jean-Charles Brisard auf den ehemaligen Chef der Antiterrorabteilung des New Yorker FBI-Büros, John O’Neill, der über Jahre die Untersuchungen gegen die Terrororganisation Al Quaida geleitet hat. Bei zwei Treffen im Juni und im Juli 2001 habe John O’Neill ihm mitgeteilt, dass nach seinen Erkenntnissen das "Zentrum des Übels" in Saudi-Arabien liege. Das saudische Königshaus spiele eine verbrecherische Doppelrolle: als Unterstützer von Al Quaida und als Partner der USA im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Trotz der erdrückenden Beweise für die engen Verbindungen zwischen der königlichen Familie und Al Quaida habe Amerika die guten Beziehungen zu Saudi-Arabien nicht gefährden wollen, weil es ihm Dank für seine "Treue" und die Öllieferungen schulde. O’Neill habe schließlich den Eindruck gehabt, dass seine Ermittlungen gegen bin Laden von oberster Stelle boykottiert worden seien. Jean-Charles Brisard: "O'Neill sagte mir, er sei völlig frustriert. Ihm schien die Führung des FBI zunehmend dem starken politischen Druck nachzugeben. Der Einfluss der Diplomatie untergrabe seine Arbeit. Es wurde für ihn einfach unerträglich. Er war entschlossen, das FBI zu verlassen und in die Privatwirtschaft zu gehen."
Im August 2001 kündigte John O'Neill und trat einen neuen Job an – als Chef des Sicherheitsdienstes im New Yorker World Trade Center. Dort wurde er bei dem Anschlag vom 11. September getötet.
Die Autoren
Der Wirtschaftsexperte Jean-Charles Brisard (33) verfasste 1997 im Auftrag des französischen Geheimdienstes DST einen Bericht über die geheimen Finanzquellen von Al Quaida, den Präsident Chirac bei seinem Besuch in Washington Ende September dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush übergab. Guillaume Dasquié (35) ist Chefredakteur des Fachdienstes "Intelligence Online", in dem wiederholt unter Berufung auf Geheimdienstkreise über bin Laden berichtet wurde - zum ersten Mal 1996.
Buchtipp
Jean-Charles Brisard et Guillaume Dasquié: "Ben Laden: La Verité interdite."
Editions Denoël, 20 EUR
von: www.wdr.de/tv/kulturweltspiegel/20011118/6.html