Guter Kommentar: "Die deutsche Trägheit"

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Guter Kommentar: "Die deutsche Trägheit"

 
11.08.02 12:55
Von Henrik Müller



Schön, dass endlich über Arbeitsmarkt-Reformen diskutiert wird. Aber wann sagt den Bürgern mal jemand, dass sie mehr arbeiten müssen?




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Der Kanzler müht sich derzeit, frohe Botschaften zu verkünden: Die Konjunktur ziehe an, prophezeite Gerhard Schröder kürzlich, nächstes Jahr werde die Wirtschaft wieder kräftig zulegen, um 2,5 bis 3 Prozent. "Ein Wachstum, das Beschäftigung sichern und neue Arbeitsplätze schaffen wird."













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© Manfred Witt
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mm-Redakteur Henrik Müller schreibt über wirtschaftspolitische Themen
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Eine gute Nachricht? Ein Armutszeugnis. Wer auf die Konjunktur wartet, damit mehr Jobs entstehen, verdreht einen elementaren Zusammenhang: Die Wirtschaft wächst, wenn mehr gearbeitet wird. Nicht umgekehrt. Logisch, kurzfristig kann auch mal eine schwache Konjunktur die Beschäftigung drücken. Der langfristige Wachstumspfad einer Volkswirtschaft jedoch hängt entscheidend von zwei Faktoren ab: wie viele Menschen arbeiten und wie produktiv sie sind.



Andere Länder sind stark gewachsen, gerade weil sie mehr Leute in das Erwerbsleben gelockt haben. In Deutschland hingegen steuert die Wirtschafts- und Sozialpolitik einen absurden Kurs. Motto: Je weniger Arbeit, desto weniger Arbeitslosigkeit.



Arbeitszeitverkürzungen haben die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Beschäftigten im vergangenen Jahrzehnt um 93 Stunden sinken lassen. Ältere wurden in den Frühruhestand gelockt oder ins Abseits gedrängt; nur 37 Prozent der Bürger über 55 Jahre arbeiten noch, weniger als in den meisten anderen reichen Ländern.



Das Ergebnis? Nirgendwo in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften entstehen weniger Jobs. Immer noch sind fünfeinhalb Millionen Menschen offen oder verdeckt arbeitslos. Die Bundesrepublik leidet unter permanenter Wachstumsschwäche - wer nicht arbeitet, trägt nichts zum Sozialprodukt bei.















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Menschlicher Faktor: Beschäftigung und Wachstum im Vergleich
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Ohne diese Erfahrungen zur Kenntnis zu nehmen, fordern die Gewerkschaften unverdrossen weitere Arbeitszeitverkürzungen; schlägt die viel gepriesene Kommission um den VW-Manager Peter Hartz vor, über 55-jährige Arbeitslose nicht mehr zu vermitteln.



Was lehrt das? Die Zahl der Arbeitslosen reduzieren zu wollen - die Hartz-Kommission möchte binnen drei Jahren eine Halbierung erreichen - ist kein ökonomisch sinnvolles Politikziel. Vielmehr sollte sich die nächste Bundesregierung darum bemühen, die Beschäftigung zu steigern: indem sie Sozialleistungen und -beiträge stutzt, damit sich Arbeit lohnt; indem sie die Möglichkeiten des neuen Einwanderungsgesetzes nutzt und die Grenzen öffnet für alle Klugen und Leistungswilligen der Welt; indem sie mehr Geld in Schulen und Hochschulen lenkt, damit dauerhaft die Produktivität steigt.



Staat und Bürger wenden nur 5,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung auf, viel weniger als die USA (6,4 Prozent) oder Schweden (6,8 Prozent). Entsprechend gering ist der Anteil der Bevölkerung, der eine Fach-, Fachhochschule oder Universität besucht hat: 23 Prozent, gegenüber 29 Prozent in Schweden und 35 Prozent in den USA. Alarmierend: Der Mangel an Hirnkapazität hier zu Lande bremst hochproduktive Branchen wie Informations- und Biotechnologie.



Zu wenig Arbeit, zu wenig Intelligenz - Deutschland hat längst den Anschluss an die Weltspitze verloren. 1991 lag die Wirtschaftsleistung pro Kopf um nur 6 Prozent unter der US-amerikanischen, heute beträgt die Wohlstandslücke 39 Prozent. Eigentlich seltsam, dass es keinen Aufschrei gibt, wenn Kanzler Schröder ("wettbewerbsfähig wie nie zuvor") und Kandidat Edmund Stoiber (siehe: "Kritische Fragen an den Unions-Kanzlerkandidaten") den Standort preisen.



Ein starkes Land? Ein träges Land.


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