Born to be wild
Die Technik ist von gestern, die Käufer meistens auch. Doch Rekordverkäufe machen den Motoradbauer aus Milwaukee zur erfolgreichsten US-Firma des vergangenen Jahres. Was steckt hinter dem Mythos?
New York – Umsatz plus 15 Prozent, Gewinn plus 26 Prozent, Aktienkurs plus 40 Prozent – das sind die vorläufigen Zahlen für das Horrorjahr 2001, die aufhorchen lassen. Ist das irgendein smartes Start-up, das die richtige Idee zur richtigen Zeit hatte? Nein, es ist eine 99 Jahre alte Firma, deren Produkte aus der Nachkriegszeit stammen und deren Kunden fast durchweg graue Bärte tragen.
Die Marke Harley Davidson ist wahrlich kein Youngster, die Bilanz der Firma aber hat mehr Fans denn je. Während die US-Autobauer Tausende entlassen und ihre Fahrzeuge nur mit Sonderrabatten los werden, konnte Harley Davidson im Rezessionsjahr seine Produktion ausweiten, 500 neue Leute einstellen und sogar die Preise erhöhen.
"Firma des Jahres"
Das US-Magazin "Forbes" hat die Motorradschmiede aus dem Mittleren Westen soeben zur "Firma des Jahres" gewählt. Seit Harley 1986 an die Börse ging, zog der Aktien-Kurs um 15.000 Prozent nach oben, weit steiler als Giganten wie Intel (plus 7200 Prozent) oder General Electric (plus 1056 Prozent) im gleichen Zeitraum.
Das Erfolgsgeheimnis ist seit Jahren das gleiche: Man verkaufe veraltete Technik mit dem gewissen Etwas an eine treue Klientel, die hohe Preise und lange Wartezeiten nicht nur in Kauf nimmt, sondern geradezu erwartet. Harley hält das Angebot künstlich knapp, um dem Kunden das Gefühl zu vermitteln, etwas Besonderes erworben zu haben. Es ist der Mythos, von dem Harley Davidson lebt (siehe Bildergalerie: Mythos "Harley Davidson").
Aussteiger-Gefühle fürs Wochenende
Die Kultmarke steht weiterhin für Abenteuer und Freiheit, wenn auch nur bei älteren Semestern, die sich ein Stück Jugend zurückkaufen wollen. Für das Aussteiger-Gefühl am Wochenende blättern sie gerne die stolzen Preise hin. Die billigste Harley kostet 8000 Dollar.
Blitzsaubere Bilanz
Am Donnerstag legte Harley-Chef Jeff Bleustein die Zahlen für das vierte Quartal 2001 vor. Erneut gab es einen satten Gewinn: 118 Millionen Dollar oder 39 Cent pro Aktie. Wieder wurden die hochgestecken Erwartungen der Analysten übertroffen, die im Schnitt nur mit 37 Cent gerechnet hatten.
Immerhin ist die Klientel rezessionsresistent, wie sie gerade wieder eindrucksvoll bewiesen hat. Im abgelaufenen Jahr verkaufte Harley weltweit rund 40.000 Maschinen mehr als im Vorjahr (204.000). Und für die nächsten zehn Jahre dürfte sich an der Nachfrage auch nichts ändern, prognostizieren Analysten. Langfristig muss Harley sich jedoch Sorgen um das Alter seiner Kunden machen. Der typische Käufer ist inzwischen 46 Jahre alt – vor zehn Jahren lag das Durchschnittsalter noch bei 37.
Darum hat das Unternehmen im vergangenen Jahr das erste neue Modell seit 50 Jahren vorgestellt: Die V-Rod, produziert zusammen mit Porsche, ist das erste "moderne" Motorrad aus Milwaukee. Dem Design nach immer noch unverkennbar eine Harley, hat es mit einigen Techniktraditionen des Hauses gebrochen. Es ist schneller, leiser und soll vor allem junge Zielgruppen ansprechen.
Mit der V-Rod will der einzige amerikanische Motorradhersteller endlich auch im europäischen Markt Fuß fassen. Bisher hat sich die Firma schwer getan, die Dominanz von BMW und Suzuki zu brechen. Harley will seinen Marktanteil von sechs Prozent verdoppeln. Das dürfte jedoch schwierig werden: Die Verkaufszahlen für schwere Motorräder in Europa wachsen jährlich um magere fünf Prozent. Im Schlüsselmarkt Deutschland sind die Verkaufszahlen sogar rückläufig.
Über drei Viertel der Bikes landen auf dem heimischen US-Markt. Hier hält Harley einen Marktanteil von 26 Prozent. Doch die japanische Konkurrenz drängt mit Macht auf die unendlichen Straßen Amerikas. Aufhalten wird sie wahrscheinlich weniger die moderne V-Rod, die im November auf den US-Markt gekommen ist, als vielmehr wieder einmal die Tradition: Im nächsten Jahr wird Harley anlässlich des 100. Geburtstags Sondereditionen der klassischen Bikes auf den Markt bringen. Von den Jubiläumsrädern verspricht sich das Unternehmen einen deutlichen Umsatzschub.
In ihrer langen Geschichte hat die Kultfirma schon ganz andere Stürme überstanden. Zweimal stand sie kurz vor dem Bankrott, zuletzt 1985. Am Silvesterabend, vier Stunden vor der Frist um Mitternacht, konnte Harley die
rettende Finanzspritze sichern, wenige Monate später ging das Unternehmen an die Börse – und von da an ging es mit Vollgas immer nach vorn. Die Zahl der verkauften Motorräder stieg von 36.000 auf 243.000, die Gewinne wuchsen jährlich um durchschnittlich 37 Prozent, und der Aktienkurs legte um 15.000 Prozent zu. Das ist mehr als doppelt so viel wie Intels 7200 Prozent in demselben Zeitraum.
Kein Wunder, dass "Forbes" der Motorradfirma derzeit eine "perfekte Balance" bescheinigt. Und angesichts der unzähligen Rezessionsverlierer erscheint das Biker-Motto treffender denn je: "Einsam fliegt der Adler".