neuer US-Chefökonom von Goldman Sachs im Gespräch

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neuer US-Chefökonom von Goldman Sachs im Gespräch

 
22.12.05 12:21
Goldman-Sachs-US-Chefökonom Jan Hatzius über Chancen und Risiken für die Weltkonjunktur, Dollar-Kurs, Zinsen und die Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik.

Hatzius, 37, ist seit 1.Dezember dieses Jahres Amerika-Chefvolkswirt beim Wall-Street-Riesen Goldman Sachs. Er ist der erste Deutsche auf diesem prestigeträchtigen Posten. Hatzius, in Heidelberg geboren und in Hamburg aufgewachsen, hat in Kiel und Wisconsin studiert. Nach seiner Promotion an der britischen Eliteuni Oxford hat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der London School of Economics gearbeitet. 1997 heuerte er bei Goldman Sachs an.

Herr Hatzius, trotz des Ölpreisschocks hat die Weltkonjunktur in diesem Jahr angezogen. Wird die Weltwirtschaft 2006 weiter wachsen?

Ich bin recht optimistisch für das weltweite Wachstum. Vor allem die Industrie profitiert derzeit von kräftigen Impulsen, die vom Lagerzyklus ausgehen. Bis zur Jahresmitte haben sich die Unternehmen beim Lageraufbau sehr zurückgehalten. Dann wurden sie von der anziehenden Konjunktur überrascht. Nun müssen sie ihre Produktion hochfahren, um die Nachfrage zu befriedigen. Besonders deutlich ist dies derzeit in den USA.

In den vergangenen Jahren haben vor allem die amerikanischen Konsumenten der Weltwirtschaft die entscheidenden Impulse gegeben. Asien und Europa profitierten durch steigende Exporte. Ist das eine stabile Rollenverteilung?

In den nächsten Jahren muss sich die ungleichmäßige Verteilung der globalen Wachstumskräfte ändern. In den vergangenen Jahren haben die hohen Wertzuwächse bei Häusern und Wohnungen das Vermögen der Amerikaner vermehrt und ihre Konsumbereitschaft erhöht. Lässt dieser Anstieg nach oder sinken die Häuserpreise gar, kehrt sich der Vermögenseffekt um. Das wird die Kauflaune und damit auch die Konjunktur dämpfen. Die amerikanischen Konsumenten werden der Weltwirtschaft bald weniger Impulse geben.

Dies würde dann den Export in Europa und Asien und das Wachstum dort dämpfen?

Ja. Deshalb muss die Inlandsnachfrage in diesen Regionen stärker Tritt fassen. In Japan scheint das bereits der Fall zu sein. Das Land hat die Stagnation der vergangenen zehn bis zwölf Jahre überwunden. In den nächsten zwei Jahren wird sich der Aufwärtstrend dort fortsetzen. Dadurch entsteht für die Weltwirtschaft ein gewisser Ausgleich für die nachlassende Konsumdynamik in den USA.

Was macht Sie so sicher, dass es in Japan diesmal dauerhaft nach oben geht?

Der Bankensektor hat sich konsolidiert, die Institute haben ihre faulen Kredite abgeschrieben. Von der weiterhin lockeren Geldpolitik kommen kräftige Impulse. Diese werden mit nachlassender Deflation sogar noch stärker, denn je mehr sich das Preisniveau wieder nach oben bewegt, desto niedriger wird der Realzins. Auch der schwache Yen und die steigenden Aktien- kurse schieben die Konjunktur an. All das stimmt mich zuversichtlich für Japan.

Die treibende Kraft in Asien war in den vergangenen Jahren China. Ist das chinesische Wachstum stark genug, um die Rolle einer Lokomotive der Weltwirtschaft zu übernehmen, wenn die US-Konjunktur an Zugkraft verliert?

Kurzfristig wird die chinesische Wirtschaft weiter kräftig wachsen, wenn auch nicht mehr ganz so dynamisch wie in diesem Jahr mit rund 9,5 Prozent. Mittelfristig allerdings steht China vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Vor allem der außerordentlich hohe Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt von rund 50 Prozent deutet auf Übertreibungen hin. Dazu spitzen sich soziale Spannungen wegen der ungleichen Einkommensverteilung zwischen den prosperierenden urbanen Ballungszentren und den ländlichen Regionen zu. Hinzu kommen noch enorme Umweltprobleme.

Welche Rolle wird Europa im weltweiten Konjunkturzusammenhang spielen?

In Europa ist der Restrukturierungsprozess noch nicht abgeschlossen. Zwar sind die Reformen im Unternehmenssektor weit vorangeschritten, das gilt vor allem für Deutschland.

Doch die Politik hinkt bei den notwendigen wirtschaftspolitischen Reformen weit hinterher. Die von der deutschen Regierung geplante Konsolidierung des Staatshaushalts durch höhere Steuern ist für den Abbau der weltweiten Ungleichgewichte kontraproduktiv, weil sie die Binnennachfrage in Europa schwächt.

Das Defizit in der US-Leistungsbilanz ist 2005 auf rund 6,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angeschwollen. Wie lange geht das gut?

Langfristig ist ein derart hohes Defizit nicht tragbar. Doch solange das Ausland bereit ist, das Loch in der US-Leistungsbilanz durch hohe Kapitalzuflüsse zu finanzieren, ist keine Korrektur in Sicht. Gegenwärtig sind amerikanische Staatsanleihen mit einer Rendite von 4,5 Prozent attraktiv genug, um ausländische Investoren anzulocken.

Kann das hohe Leistungsbilanzdefizit zu einem Dollar-Crash führen?

In einem System flexibler Wechselkurse kann ich mir einen Dollar-Crash nicht so recht vorstellen. Das wäre nur möglich, wenn die Zentralbank den Wechselkurs gegen die Marktkräfte verteidigt und am Ende die Waffen strecken muss. Dies ist beim Dollar aber nicht der Fall. Die Anpassung an den Devisenmärkten dürfte daher graduell verlaufen. Wir sehen auf Sicht von zwölf Monaten eine Abwertung des Dollar auf 1,30 zum Euro.

Dann sind die Ungleichgewichte in der US-Wirtschaft also nur halb so schlimm?

Das kann man so nicht sagen. Auch wenn der Abbau der Ungleichgewichte zeitlich gestreckt verläuft, kann er spürbare Folgen für die Realwirtschaft haben. Schauen Sie sich nur die Sparquote der Amerikaner an, die derzeit unter null Prozent liegt. Wenn die Wertzuwächse bei Immobilen demnächst ausbleiben, werden die Bürger erkennen, dass sie wieder mehr sparen müssen, um Vermögen aufzubauen. Die Sparquote wird daher langfristig auf sechs bis zehn Prozent des verfügbaren Einkommens steigen müssen. Das wird den privaten Konsum bremsen...

...und die US-Wirtschaft in die Rezession stürzen?

Nicht unbedingt. Um einen Einbruch der Konjunktur zu vermeiden, müssen zusätzliche Impulse von den Investitionen oder vom Export kommen. Deshalb ist es ja so wichtig, dass auf den Absatzmärkten für US-Produkte in Asien und Europa mehr binnenwirtschaftliche Dynamik entsteht.

Wie groß ist die Gefahr, dass die Zinserhöhungen der US-Notenbank die Immobilienpreisblase zum Platzen bringen?

Die Zinserhöhungen der Fed zeigen bereits Wirkung auf dem Immobilienmarkt. Wichtige Frühindikatoren deuten auf eine Abschwächung der Immobilienpreise im nächsten Jahr hin. Trotzdem dürfte die Fed den Leitzinssatz weiter bis auf fünf Prozent Mitte 2006 anheben, was den Immobilienmarkt weiter abkühlen wird. Das Wachstum der US-Wirtschaft wird daher im Jahr 2007 mit rund 2,5 Prozent deutlich unter den langfristigen Wachstumstrend von gut drei Prozent fallen. Im Verlauf von 2007 wird die Notenbank die Leitzinsen daher wieder senken.

Bringt ein starker Rückgang der Immobilienpreise nicht auch die US-Banken in Probleme?

Die jahrelange Niedrigzinspolitik der Notenbank hat den Bürgern Anreize gegeben, sich für den Kauf von Immobilien zu verschulden. Sollte sich im Gefolge der konjunkturellen Verlangsamung die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern, besteht die Gefahr, dass viele Immobilienbesitzer ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Die Banken müssten dann einen Teil ihrer Forderungen abschreiben – mit negativen Konsequenzen für ihre Bilanzen.

Wie lange wird es dauern, bis die US-Wirtschaft die Ungleichgewichte am Immobilienmarkt, bei der Sparquote und der Leistungsbilanz abgebaut hat?

Wenn der Anpassungsprozess graduell verläuft, wird es wohl fünf Jahre dauern. Während dieser Zeit brauchen wir viel Glück, um die Wirtschaft in der Nähe der Vollbeschäftigung zu halten.

Präsident George W.

Bush hat die US-Konjunktur in den vergangenen Jahren durch massive Steuersenkungen angeheizt und dafür ein höheres Defizit im Staatshaushalt in Kauf genommen. War diese Politik richtig?

Der expansive Kurs der amerikanischen Fiskalpolitik hat der Wirtschaft in der Tat geholfen, die Folgen des Aktiencrashs zu überwinden. Das hat gezeigt, dass Fiskalpolitik auch als Konjunkturpolitik eingesetzt werden sollte.

In Deutschland wird das anders gesehen. Die neue Bundesregierung versucht, die Defizitvorgaben des Maastrichter Vertrags zu erfüllen und erhöht dafür sogar die Steuern.

Deshalb mache ich mir um Deutschland besondere Sorgen. Wenn die Regierung in dieser Situation auch noch die Steuern massiv erhöht, wie es für 2007 geplant ist, muss sie sich nicht wundern, wenn der Konsum nicht auf die Beine kommt. Europa sollte sich fragen, ob die Logik des Maastrichter Vertrages ökonomisch richtig ist.

Entspricht der Versuch, die Finanzpolitik zur aktiven Konjunktursteuerung einzusetzen, nicht überholten keynesianischen Vorstellungen?

Ich glaube, Europa verfolgt den falschen Ansatz. Während die Europäer staatliche Aktivitäten zur Konjunktursteuerung ablehnen, dulden sie umso stärkere Eingriffe des Staates im Mikrobereich, etwa auf den Güter- und Arbeitsmärkten. In den USA ist es genau andersherum. Auf den Güter- und Arbeitsmärkten vertrauen die Amerikaner lieber dem freien Spiel der Marktkräfte. Dagegen sehen sie durchaus eine gewisse Berechtigung für aktives staatliches Management zur Steuerung der Konjunktur. Die Entwicklung von Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand spricht eher für den amerikanischen Ansatz.

Trotz der schlechten deutschen Rahmenbedingungen ist es den deutschen Unternehmen gelungen, sich in den vergangenen Jahren fit zu machen für den internationalen Wettbewerb.

Richtig. Aber es gibt wohl derzeit keine andere Volkswirtschaft der Welt, wo der Kontrast zwischen der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmenssektors und der Entwicklung der privaten Haushalte so ausgeprägt ist wie in Deutschland. Die entscheidende Frage ist: Wie lange dauert es, bis sich die Verbesserungen im Unternehmenssektor in einer stärkeren Binnenwirtschaft niederschlagen? Ich würde der deutschen Finanzpolitik daher empfehlen, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass die heimische Nachfrage mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen Schritt halten kann.

Mit Verlaub: Eine expansive Finanzpolitik ist doch wohl kein Ersatz für strukturelle Reformen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt.

Das ist richtig. Aber sie sollte diese ergänzen. Eine durchgreifende Deregulierung des deutschen Arbeitsmarktes ist notwendig, um vorhandene Beschäftigungspotenziale besser zu nutzen. Aber darüber sollte man die Nachfrageseite nicht vergessen. Der Strukturwandel lässt sich so sozial leichter abfedern. Außerdem erhöht es dessen gesellschaftliche Akzeptanz, wenn der Staat zugleich mit der Finanz- und Geldpolitik konjunkturpolitisch ein bisschen mehr aufs Gaspedal tritt.

Welche Empfehlung würden Sie denn Bundeskanzlerin Angela Merkel geben, wenn Sie einen einzigen Vorschlag machen sollten?

Die Regierung sollte noch einmal intensiv darüber nachdenken, ob die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Punkte konjunkturpolitisch wirklich ins Bild passt.

„IN EUROPA HÄNGT DIE POLITIK BEI DENNOTWENDIGEN REFORMEN NOCH WEIT HINTERHER“ „ANGELA MERKEL SOLLTE DIESTEUERERHÖHUNG ÜBERDENKEN“
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