Interview
"Es drohen wieder Exzesse"
Mark Mobius, der König aller Schwellenländer, über die Unsterblichkeit von Zockern, Kaufgelegenheiten in Kasachstan und wer für die gigantischen Liquiditätsschwemme verantwortlich ist.
Herr Mobius, es kommt einem vor, als habe es die Finanzkrise nie gegeben. Seit Jahresbeginn legten die Aktienmärkte der Schwellenländer im Schnitt 55 Prozent zu. Viele Börsen notieren höher als am Tag der Lehman-Pleite. Kann das gut gehen?
Derart starke Kursanstiege binnen kurzer Zeit ziehen zwar stets Rückschläge nach sich. Aber wir sind nach wie vor in einem Bullenmarkt.
Das Vertrauen ist wirklich zurück?
Das haben die Notenbanken mit ihren Druckerpressen wiederhergestellt. Hat das kurzfristig geklappt? Ja. Ist das langfristig gut? Natürlich nicht. Besser wäre es gewesen, man hätte mehr Banken scheitern lassen als nur Lehman Brothers. Nun zahlen alle die Rechnung, und die Aktionäre sind fein raus.
Die Pleite weiterer Banken hätte den Kollaps der Märkte zur Folge gehabt.
Nein. Nach Lehman sind in den USA über 80 weitere Banken vom Markt verschwunden – zugegeben, in der Hauptsache Regionalbanken, aber einen Kollaps sehe ich nicht. Jetzt vermitteln die Regierungen: Ihr könnt ruhig die gleichen Fehler noch einmal machen. Was für ein Vorbild! Ich war kürzlich auf einer Kreuzfahrt mit meinen zwei Neffen. Auf dem Schiff erklärte der Purser: Geben Sie mir Ihre Kreditkartennummer, dann erhalten Sie diese kleinen Magnetchips für Ihr Handgelenk. Damit können Sie alles bargeldlos begleichen.
Und das haben Sie gemacht?
Ich war so dumm, die Kreditkarte zu zücken. Am zweiten Tag lag ich auf dem Bett und sah im Fernsehmenü den Punkt "Rechnung einsehen". Ich drücke also drauf, und was sehe ich? Die Rechnung bewegt sich buchstäblich auf dem Fernseher. Zwei Martini an der Bar. Fünf Bier in der Schiffsdisco. Entertainment auf dem Oberdeck. Ich dachte nur: Ich muss sofort los und den Wahnsinn meiner Neffen stoppen.
Das will die US-Regierung doch auch.
Kein bisschen. Ihre Botschaft lautet: Macht ihr mal. Wir zahlen schon. Wie soll ein US-Verbraucher angesichts der Kreditkartenmentalität aus diesem Vorbild lernen, sich zu entschulden?
Hatten Sie im Herbst 2008 Angst, dass die Krise weit schlimmer ausfällt als frühere?
Überhaupt nicht. Ich bin enthusiastisch, wenn die Märkte korrigieren.
Das ist der Standardsatz eines jeden Fondsmanagers, der immer investieren muss.
Es ist aber so. Mir war klar, dass im Oktober eine hervorragende Kaufgelegenheit bestand. Nicht nur, weil die US-Notenbank Geld druckte und die Bewertungen extrem günstig waren, sondern auch wegen unserer Mittelabflüsse. Anleger neigen dazu, uns Geld zu geben, wenn die Märkte nahe ihrem Hoch sind, und es abzuziehen, wenn sie in der Nähe ihrer Tiefs sind. In einem Crash ist es weitaus einfacher, gute Kaufgelegenheiten zu finden. Problematisch ist, wenn die Anleger euphorisch sind.
So wie jetzt? In Russland sind inzwischen 600.000 Daytrader aktiv, in China eröffnen im Schnitt eine halbe Million Anleger pro Woche Tradingkonten für den Aktienmarkt. Mit Verlaub, da drängt sich ein Schwellenländerengagement nicht gerade auf.
Die Bewertungen der Aktien dieser Länder sind historisch nicht sonderlich hoch. Und je größer die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen, desto größer auch die Opportunitäten. Das spricht immer für Schwellenländer. Zwar drohen uns wieder Exzesse. Dafür verantwortlich ist aber vor allem die gigantische Liquiditätsschwemme der Notenbanken.
Die Märkte pendeln immer zwischen Euphorie und Depression. Aber die extrem gestiegene Volatilität ist tatsächlich neu. Sie ist Ergebnis von übermäßig vorhandener Liquidität und dem Boom der Derivate. Deren Volumen beträgt weltweit mehr als 600 Billionen Dollar. Das ist das Zehnfache des Bruttoinlandsprodukts aller Länder zusammen. Das kann nicht allein der Absicherung dienen. Mit Derivaten wird auch gewettet und spekuliert.
Was eigentlich durch Regeln unterbunden werden soll. Sehen Sie da Fortschritte?
Nein. Auf die Wirtschaftskrise der 30er-Jahre reagierten die US-Behörden zu Recht mit dem Glass-Steagall Act. Er schrieb die strikte Trennung von Investmentbanking und klassischem Bankgeschäft vor. Diese Trennung hat man in Amerika 1999 über Bord geworfen. Danach wurde es wild – bis heute. Händler können die Bankbilanzen nutzen, um zu spekulieren. Sie können das auch zocken nennen. Das erzeugt die starken Kursschwankungen. Wir müssen uns damit abfinden: Das Erinnerungsvermögen der Menschen ist sehr kurz. Sie treffen Entscheidungen nicht logisch, sondern nach Emotionen wie Angst und Gier.
Die Anlagezeiträume werden kürzer. Gelder fließen immer schneller aus Fonds ab und wieder hinein. Birgt ein Schwellenländerfonds da nicht große Gefahren?
Wir halten in Fonds stets eine Barquote, um Abflüsse bedienen zu können, und mindestens 15 Prozent in sehr liquiden Aktien. Dass sich die Anlagezeiträume verkürzen, ist aber ein Trugschluss. Tatsächlich hat die Volatilität in Schwellenländern auch wegen der Hedge-Fonds zugenommen. Sie spekulieren kurzfristig mit geringem eigenen Einsatz, aber sehr hohem Kredit.
Machen Sie es sich nicht zu einfach, die Schuld für die Verwerfungen bei Derivaten und Hedge-Fonds zu suchen?
Fakt ist doch, dass wir als Fondsgesellschaften während der Panik des vergangenen Herbsts als Banken fungierten. Anleger konnten ihr Geld nicht aus Hedge-Fonds oder anderen illiquiden Vermögenswerten abziehen, weil dies nur mit Fristen geht. Also haben sie es aus Fonds abgezogen, um ihre Risiken zu minimieren. Die Krux ist: Als kluger Anleger sollte man die Umschlagshäufigkeit im Depot eigentlich reduzieren und nicht ständig ein- und aussteigen. Bullenmärkte dauern länger als Korrekturen, und in Haussephasen steigen die Märkte stärker, als sie in kurzen und scharfen Korrekturen fallen. Das heißt: Als Anleger sind Sie immer besser dran, wenn Sie investiert sind, als wenn Sie außen vor stehen – auch wenn das schwerfällt.
Dass Anleger aus Aktien fliehen, liegt auch daran, dass die Risikostreuung nicht länger funktioniert. Die Börsen von Industrie- und Schwellenländern bewegen sich seit Jahren in die gleiche Richtung – mit dem Unterschied, dass die Ausschläge in Schwellenländern größer sind.
Das sehe ich anders. Über kurzfristige Zeiträume wie Tage, Wochen oder Monate sind die Korrelationen in der Tat hoch. Längerfristig nicht. Hinzu kommt, dass es jenseits der bekannten Emerging Markets noch Frontier Markets – also quasi Grenzländer – gibt, die den Schritt zum Entwicklungsland erst vor sich haben. Sie weisen neben hohen Wachstumsraten auch ein von Schwellenländern unabhängiges Eigenleben auf.
Welche Frontier Markets sind derzeit für Sie eine gute Kaufgelegenheit?
Nigeria, Kenia, Kasachstan zum Beispiel. Auch Ägypten und Vietnam.
Kasachstan? Das ist doch pure Zockerei.
Nicht wenn Sie die Märkte so gut kennen wie wir. Privatanleger sollten dagegen in der Tat vorsichtig sein.
Unentdeckte Länder – gibt es die im Zeitalter der Globalisierung wirklich noch?
Der Iran und der Irak gehören dazu, allerdings sind die Investitionsmöglichkeiten noch extrem beschränkt. Auch im Kreis bekannterer Schwellenländer gibt es unterschätzte Staaten. Brasilien ist ein großartiges Land, wenngleich der Aktienmarkt derzeit etwas teuer ist.
Die Corporate Governance, also Regeln zur guten Unternehmensführung, war in Schwellenländern schon immer problematisch. Die Finanzkrise dürfte das nicht verbessert haben. Wieso sollten Anleger ihr Geld jetzt in diese Länder investieren?
Corporate Governance ist doch kein Problem der Schwellenländer. Tatsache ist, dass die Corporate Governance auch in den USA und Europa mies ist. Schauen Sie sich die Finanzskandale und Interessenkonflikte der Akteure in den USA an. Die Finanzaufsicht funktionierte nicht. Die Wirtschaftsprüfer werden von den Gesellschaften bezahlt, die sie beauftragen. Die Ratingagenturen werden von den Unternehmen bezahlt, die sie beauftragen. Da sind die Urteile niemals korrekt. Das ist verrückt. Ich sehe da keine Veränderung.
Für den Anleger hieße das: Er kann niemandem über den Weg trauen.
Sie kommen nicht umhin, hinter die Kulissen der Unternehmen zu schauen. Wer führt es? Wer kontrolliert es? Wie behandeln sie Aktionäre? Und vor allem, unsere erste Frage: Wie groß sind die Derivatepositionen? Verluste, die eine Firma ausradieren, können im Zeitalter der Derivate über Nacht auftauchen. Sie sehen das nicht in der Bilanz – und Sie werden es auch künftig nicht sehen können. Diversifikation ist daher enorm wichtig.
Wieso sollten sich Anleger riskante Schwellenländerwerte ins Depot legen, wenn sie Aktien von Konsumgüterherstellern wie Coca-Cola, Nestlé oder Unilever kaufen können? Diese Konzerne machen heute die Hälfte ihrer Umsätze in Schwellenländern?
Es spricht überhaupt nichts dagegen, in solche Werte zu investieren. Übrigens kaufen wir sehr selektiv solche Titel auch für unsere Investmentfonds, wenn es aussichtsreich erscheint. Ein Beispiel ist der schwedische Kosmetikhersteller Oriflame Cosmetics. Auch der US-Konzern Avon eignet sich, um das Schwellenländerthema zu spielen. Ebenfalls ein sehr guter Wert ist der Nivea-Konzern Beiersdorf. Leider ist die Aktie teuer, aber ein exzellentes Unternehmen. In Asien ist die Reflexzonenmassage sehr populär. Wenn Sie in China unterwegs sind, verwenden die Masseurinnen dazu nichts anderes als Nivea.
Ihr Markenzeichen ist, dass Sie 250 Tage im Jahr unterwegs sind. Vor 20 Jahren waren Sie einer der Ersten, der in Schwellenländer investierte. Bringt Reisen heute noch einen Wettbewerbsvorteil?
Natürlich ist er nicht mehr so groß. Aber Sie fühlen sich weitaus sicherer, wenn Sie die Menschen kennen, die hinter den Unternehmen stehen und sich auch ansehen können, was in den Ländern und Gesellschaften passiert. Auch die politische Struktur ist wichtig. Wann immer Sie sich blind darauf verlassen, dass eine Regierung die Situation unter Kontrolle hat, stecken Sie in Problemen. Auch Wirtschaftsdaten helfen Ihnen selten weiter, denn Ökonomen haben das Problem, dass sie immer in den Rückspiegel schauen und den politischen Einfluss auf die Wirtschaft unterschätzen.
Wieso liegt dann Ihr Flaggschiff-Fonds, der Templeton Emerging Markets, seit Jahren hinter dem Gesamtmarkt zurück?
Wir neigen dazu, in Bullenmärkten immer schlechter zu sein als der Markt, weil wir eine sehr vorsichtige Anlagestrategie verfolgen. Das war schon zu Zeiten des Dotcom-Booms um die Jahrtausendwende so. Um den Umschlag in unserem Fonds niedrig zu halten, wechseln wir eine Position nur, wenn wir eine neue Aktie 50 Prozent unter ihrem fairen Wert zukaufen können. Vor allem in schwächeren Märkten zahlt sich das aus. Wir behalten auch in Krisenzeiten die Ruhe. Bei uns bleibt eine Aktie im Schnitt fünf Jahre im Portfolio.
Sie haben Ende der 90er-Jahre erklärt, ein Anleger könne ruhig 100 Prozent seines Aktienvermögens in Schwellenländer stecken. Stehen Sie heute noch dazu?
Das kommt ganz darauf an, ob Sie das Geld kurzfristig benötigen. Wenn Sie einige Jahre Zeit haben, können Sie das weiterhin tun. Ich würde dann sogar empfehlen, je 50 Prozent in Schwellenländer und in Frontier Markets zu investieren.