Tiscali / T-Online

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Tiscali / T-Online

 
19.06.01 19:08
Für die Unternehmen der New Economy sind harte Zeiten angebrochen. Die strategische Umorientierung bei den gefallenen Internet-Engeln ist in vollem Gange: Weg von der aggressiven Akquisition - Sparsamkeit wird wieder groß geschrieben. Zu Tiscali, dem italienischen Internet Service Provider (ISP) aus dem sardischen Cagliari, scheint die Nachricht noch nicht durchgedrungen zu sein. Es mehren sich die Sorgenfalten auf der Stirn des Aktionärs, wenn er sich die Firmenstrategie der Italiener vor Augen hält. Das neueste Gerücht: Der britische Branchenkollege Virgin.net stehe angeblich zum Verkauf, und wer sonst als die Italiener kämen als Käufer in Frage? T-Online vielleicht?

Tiscali hat sich in den vergangenen Monaten einen Namen als Conquistatore gemacht. Seit dem Megadeal mit dem niederländischen Konkurrenten World Online, die den sardischen Eroberer fast 6 Milliarden Euro kostete, kamen die Aktionäre nicht mehr zur Ruhe. Es folgten Addcom, Planet Interkom und SurfEU in Deutschland, LibertySurf in Frankreich, LineOne in Großbritannien und Excite Italia im eigenen Land - und das alles in sechs Monaten. Während sich T-Online, die Konkurrenz in Deutschland, mit Management-Querelen abplagte, und die Mutter Telekom jegliche Übernahmeambitionen ihres Internetsprösslings vereitelte, nutzte Tiscali die Gunst der Stunde: sieben Zukäufe zu Discountpreisen - die Internetflaute machte es möglich.

Big Diet statt Fastfood?

Nimmersatt Renato Soru trotzt der Schlankheitskur in der Branche. Das Abspeck-Gebot der Stunde lautet: Kosten senken, Rendite steigern und mit Inhalten Umsätze steigern. Bekanntester Verfechter dieser Strategie unter den Internetwerten ist T-Online. Während der Deutsche mit preußischer Disziplin Fettpölsterchen abbaut und - bisher vergeblich - Wege zur Profitabilität sucht, stürzen sich die ungestümen Südländer aufs Fastfood-Buffet - Hauptsache billig. Und das nicht ohne eine offene Kriegserklärung an den erklärten Rivalen im deutschen Darmstadt. Schnäppchenjäger Soru will T-Online den Platz eins unter den europäischen Internetanbietern streitig machen - erst dann wolle er aufhören, dazu zu kaufen. Kein Freund von Bescheidenheit...

Gemessen an den Nutzerzahlen scheint sich Sorus Unternehmen seinem Ziel zu nähern. Doch T-Online wehrt sich, wenn auch zunächst nur mit Worten: Von "sinnlosen paneuropäischen Rechenspielen" spricht Firmenchef Thomas Holtrop. Denn nur derjenige könne profitabel werden, der sowohl bei der Kundenzahl als auch bei der Nutzung der angebotenen Inhalte zu den Top 3 eines Landes gehöre.

Nicht ganz falsch liegt damit der derzeitige T-Online-Chef, der sich - anders als seine zahlreichen Vorgänger - recht wacker unter der Fuchtel der übermächtigen Telekom schlägt. Tiscali generiert den Großteil seiner Umsätze über das traditionelle und zunehmend margenschwache Zugangsgeschäft. Was fehlt, ist ein starker Partner aus dem Medienbereich, der Inhalte (oder wie man so schön englisch sagt: "Content") liefert. Denn aus vielen kleinen, defizitären Anbietern wird noch lange kein profitabler Marktführer.

Verdauungsprobleme
Die Skepsis der Anleger und Analysten nimmt zu. Kein Wunder: Für den Großteil der Transaktionen diente die Tiscali-Aktie als Währung. Kapitalerhöhungen in Milliardenhöhe verwässern den Gewinn je Aktie. Hinzu kommen kulturelle Schwierigkeiten, die Tiscali noch schwer im Magen liegen werden: Wie sollen die neu "gewonnenen" Unternehmen unterschiedlichster Nationalitäten in kürzester Zeit integriert werden? Wie soll vor allem die Integration der beiden größten Unternehmen LibertySurf und World Online erfolgreich über die Bühne gehen, wenn doch die jeweiligen Top Manager Besnainou und Kinsella vor Sorus egozentrischer Person bereits das Weite gesucht haben? Mit Differenzen bezüglich der Unternehmensstrategie begründeten Tiscali-Sprecher die Abgänge - es darf geraten werden, was den beiden unehrenhaft Entlassenen an Sorus Strategie missfiel.

Doch damit kein falsches Bild entsteht: Der Tiscali-Chef, Sohn eines kleinen Lebensmittelhändlers vom Lande, ist stolz auf seinen Ruf als Pfennigfuchser. Und dem macht er alle Ehre: Nach kräftigen Einsparungen bei Personal und Marketing überraschte Tiscali im ersten Quartal mit einem Verlustabbau (EBITDA) gegenüber dem Vorquartal um 82 Millionen auf 58 Millionen Euro - eine Verringerung um knapp 60 Prozent! Zum Vergleich: Bei T-Online fiel im gleichen Zeitraum ein Verlust von 66 Millionen Euro an. Beim Umsatz ist Tiscali noch weit abgeschlagen. Mit 110 Millionen Euro erzielten die Italiener nicht einmal die Hälfte der T-Online-Erlöse (280 Millionen Euro).

Beim Betrachten der beiden Erzrivalen mag dem besorgten Leser vielleicht ein erleuchtender Gedanke kommen: Die Strategien von T-Online und Tiscali ergänzen sich auf nahezu perfekte Weise - also warum suchen sie nicht den gemeinsamen Weg? Gerüchte um derartige Ambitionen Sorus gab es bereits. Doch eine Fusion unter Gleichen wäre für den Italiener wohl völlig unakzeptabel. Und dass Telekom-Gott Ron Sommer seine Internetsparte den Wilden aus dem Süden zum Fraß vorwirft - auch eher unwahrscheinlich. So werden die Sarden ihren Hunger vorläufig mit kleineren Übernahmen in Spanien und Großbritannien stillen müssen, wie Soru bereits angekündigt hat. Also doch Virgin.net? Guten Appetit.  
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