AGENTIN AN DER UNI HANNOVER
AStA protestiert gegen Bespitzelung
An ihr war fast alles falsch - der Name, die Biografie, der Pass. "Kirsti Weiß" wurde offenbar vom Verfassungsschutz in den Hannoveraner AStA eingeschleust. Nun verlangen die perplexen und zornigen Studentenvertreter Aufklärung.
Die Studentenvertreter an der Universität Hannover fielen "aus allen Wolken", als Mitte August aufflog, dass sie zwei Jahre lang von einer vermeintlich normalen Kommilitonin bespitzelt worden waren. "Das ist in unseren Augen ein unglaublicher Skandal und völlig unrechtmäßig", sagte der AStA-Vorsitzende Marian Drews am Montag bei einer Pressekonferenz. Die Studentenvertreter wollen jetzt den Bundesbeauftragten für Datenschutz einschalten und fordern, alle Daten umgehend zu vernichten.
Vorangegangen war eine fast unglaubliche Geschichte: Zwei Jahre lang hatte sich eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes im Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) getummelt.
Zusammengeflunkerte Biografie
Unter dem Tarnnamen "Kirsti Weiß" gab sie als Pressesprecherin der Hannoveraner Studentenvertreter fleißig Interviews, etwa zu Themen wie Studiengebühren oder zu einer Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes, das in der ersten Fassung die Abschaffung der ASten vorsah. Und zugleich hatte sie "Zugriff auf alle möglichen Namen, Adressen, Bankverbindungen und andere Daten", so Marian Drews gegenüber UniSPIEGEL ONLINE.
Dass mit "Kirsti Weiß" etwas nicht stimmte, ahnte offenbar niemand. Sie hatte sich eine detailreiche Legende selbst zusammengeflunkert oder erfinden lassen: Einem Bericht auf der Webseite Indymedia.de zufolge gab sie an, 1975 in Schwerin geboren und 1992 nach Osnabrück gezogen zu sein.
Offenbar nichts als Lügen, vom Geburtsdatum bis zum angeblichen Bruder. 1998 begann "Kirsti" dann ein Studium der Sozialwissenschaften in Hannover - und fand schnell Zugang zu linken Kreisen: bei der Arbeit in einem Studentencafé, in einer Frauengruppe, bei ASten-Treffen, im Widerstand gegen die Weltausstellung EXPO.
Freiwillige Beichte vor vier Wochen
Mitte August hat "Kirsti Weiß" sich dann "gegenüber einer befreundeten Person selbst enttarnt", berichtet "Indymedia" - mit haarkleinen Angaben zum Aussehen ("Tattoo am linken Schulterblatt"), zur erfundenen und tatsächlichen Biografie, zu ihren politischen Aktivitäten.
Bisher wollten weder das Landesamt für Verfassungsschutz in Hannover noch die Bundesbehörde in Köln eine Stellungnahme zur peinlichen Spitzel-Affäre abgeben. Die Studentenvertreter aber wollen es ganz genau wissen: War ihre vermeintliche Kollegin als verdeckte Ermittlerin fest bestallte Staatsdienerin oder wurde sie als V-Frau angeworben? Auf welcher gesetzlichen Grundlage fand der Einsatz statt? Und vor allem: Welche Informationen hat sie weitergegeben?
Interessanter als die AStA-Proteste gegen Studiengebühren oder die Änderung des Hochschulgesetzes dürften für die Verfassungsschützer die Aktionen gegen die Hannoveraner EXPO oder auch gegen die Castor-Transporte sein. Dabei mischte "Kirsti Weiß" offenbar kräftig mit, zum Beispiel auch an Protesten gegen das atomare Zwischenlager in Gorleben.
Ein weiterer Verdacht: Über ein Jahr lang wohnte die mutmaßliche V-Frau, die im Frühjahr 2002 plötzlich verschwand, zusammen mit einer Mitarbeiterin der grünen Landtagsfraktion in Hannover in einer WG. "Wenn sie schon überall schnüffelte, warum nicht auch hier", argwöhnte Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, nach dem Outing zunächst. Später schrieb sie die WG-Episode aber eher dem "Zufall" zu.
Die Verfassungsschützer werden sich jetzt unangenehme Fragen gefallen lassen müssen. Schließlich seien die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz verdeckter Ermittler "sehr eng gefasst", so die entsetzten AStA-Mitarbeiter. Sie verlangen lückenlose Aufklärung. In ihren zwei Jahren als Referentin habe "Kirsti Weiß" unter falschem Namen auch Dokumente für den AStA unterzeichnet. "Wir müssen davon ausgehen, dass sie umfangreiches Datenmaterial nicht nur über die politische Arbeit des AStA, sondern auch über einzelne Studierende angehäuft und an ihre Vorgesetzten weitergeleitet hat", sagte Marian Drews.
Spiegel