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25. März 2008, Neue Zürcher Zeitung
Kaum zu überbietende Dramatik
Nachhaltige Unsicherheit nach wilder Woche
Nach einer dramatischen Woche an den Finanzmärkten sind die Marktteilnehmer erneut kritischer geworden. Viele Kommentatoren haben betont, dass die gegenwärtige Krise viel mit erschüttertem Vertrauen zu tun hat. Das stimmt, beschönigt aber dennoch die Realität. ...
sev. London, 24. März
Die vergangene Woche endete mit einer gewissen Erleichterung; die US-Aktienmärkte schlossen nach turbulenten Tagen sogar im Plus, in Europa waren die Verluste der grossen Märkte trotz den harten Verwerfungen gemässigt, und die Staatsanleihen, die sonst in Zeiten der Unsicherheit zumeist als sicherer Hafen Auftrieb erhalten, gaben nach. In den USA, weil die Investoren von der US-Notenbank statt der Zinssenkung um 75 Basispunkte einen noch drastischeren Schritt von 1 Prozentpunkt erwartet hatten, und in Europa, weil die Europäische Zentralbank trotz den Stürmen und Ängsten an den Finanzmärkten noch immer keine Anstalten macht, ihre Leitzinsen herunterzuschrauben.
Frappierendes Tempo
Zu Beginn der Woche sah die Situation jedoch komplett anders aus; am Montag herrschte Panik und Ausverkaufsstimmung. Die Kreditmärkte drohten einzufrieren und konnten sich erst durch die massive Intervention des Fed aus ihrer Starre lösen. Zur blitzartig organisierten Feuerwehraktion gehörten die vom Fed orchestrierte Rettung der Investmentbank Bear Stearns, die erneut drastische Leitzinssenkung auf 2,25% sowie das erweiterte «Discount»-Fenster der Notenbank, die nun eine grosse Bandbreite an Vermögenswerten als Sicherheit für ihre Ausleihungen akzeptiert und dies zudem gegenüber einem grösseren Kreis an Banken. Bisher war diese Finanzierungsmöglichkeit für Geschäftsbanken reserviert; nun steht sie allen Bondhändlern inklusive der Investmentbanken offen. Für Bear Stearns war dies zwar zu spät; andere Investmentbanken haben nun aber bei Liquiditätsproblemen einen letzten Kreditgeber.
Frappierend war für viele Beobachter, wie schnell sich eine kritische Situation zuspitzen kann. Nach Gerüchten, wonach einige Banken ihr Gegenpartei-Risiko bei Bear Stearns zurückgefahren hätten, zogen Kunden in der Vorwoche innerhalb von nur zwei Tagen 17 Mrd. $ an Kapital ab. Solch radikale Umschwünge führen leicht zu Notverkäufen, die die Nervosität und Fragilität nur noch verstärken.
Mehr als nur eine Vertrauenskrise
Ein Zusammenbruch von Bear Stearns hätte den Kapitalmarkt bzw. zunächst den Kreditderivat-Markt schwer getroffen und damit einen weiteren Domino-Effekt auslösen können. Bei Bear Stearns handelte es sich zwar «nur» um die fünftgrösste amerikanische Investmentbank; das Institut ist jedoch mit hohen Engagements im Kreditderivat-Markt so stark vernetzt gewesen, dass der Gedanke eines ungeordneten Falls in der Finanzwelt kaltes Schaudern auslöste. In vielen Kommentaren ist bisher betont worden, dass die gegenwärtige Krise viel mit erschüttertem Vertrauen zu tun hat. Das stimmt, beschönigt aber dennoch die Realität. Spricht man von einer Vertrauenskrise, suggeriert dies, dass der «wahre Wert» von Vermögenswerten aus psychologischen Gründen nicht mehr erkannt wird. Es ist aber nicht nur das. Der «richtige» Preis eines Hauses, einer Aktie, einer Anleihe oder eines Kreditderivat-Produktes ist grundsätzlich das, was ein anderer dafür zu zahlen bereit ist. Wenn sich das ganze Gefüge nach unten verschiebt, geht es nicht nur um Vertrauen, sondern um echte Wertverluste. Wie die Diskussion um «Mark-to-market» zeigt, fällt es den Marktteilnehmern anscheinend deutlich schwerer, dies zu akzeptieren als die hohen Bewertungen vor dem Ausbruch der Krise. In dieser schwierigen Situation gibt es immer noch Marktteilnehmer mit genügend Reserven, die von der angespannten Situation weniger gut gepolsterter Konkurrenten profitieren und davon, dass die Kurse nach unten überschiessen können.
Das Fed hat in der vergangenen Woche erneut demonstriert, dass es alles tun wird, um einen Flächenbrand des Finanzsystems zu verhindern. Die Herausforderung besteht allerdings darin, nach der Rettungsaktion wieder aufzuräumen und zu verhindern, dass durch die grosszügige Liquidität und die neu gespannten Sicherheitsnetze erneut Anreize für Investoren und Banken gesetzt werden, zu hohe Risiken einzugehen, und so die Basis für die nächste Krise gelegt wird. Im Sinne der langfristigen Stabilität des Finanzsystems müssen die Marktteilnehmer hoffen, dass nach der Krisenhilfe wieder ein strikterer Pfad eingeschlagen wird. Bis dahin gibt es noch mehrere offene Flanken. Eine der verwundbaren Stellen ist derzeit der Dollar, der im Verlauf der vergangenen Woche gegenüber Euro und Schweizerfranken auf neue Tiefststände sank. Ein schlimmes Szenario ist, wenn die Investoren einen weiteren Absturz des Dollars befürchten, aus ihren Dollaranlagen aussteigen und damit eine Abwärtsspirale lostreten. Ab einem gewissen Niveau könnte die US-Notenbank zu Zinserhöhungen in einem Moment gezwungen sein, in dem die amerikanische Wirtschaft dafür noch nicht wieder stabil genug ist.
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limi