Werbung kann auch zu einem teuren Irrtum werden

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Werbung kann auch zu einem teuren Irrtum werden

 
16.03.02 21:43
Wie Werber die Gunst der Stunde nutzen können, erklären Holger Jung und Jean-Remy von Matt in ihrem neuen Buch "Momentum"

Es gibt eine Insel, deren Bewohner einen eigentümlichen Brauch haben: Bäume, die zu dick sind, um sie mit der Axt zu fällen, werden angebrüllt. Einen Monat lang jeden Tag. Danach fallen sie.

Man mag über diesen Brauch lachen, ihn primitiv finden. Aber sind wir hoch bezahlten Werbefachleute anders? Versuchen wir nicht auch, den Verbraucher anzuschreien, bis er nachgibt?

In der Sorge, dass uns keiner mehr zuhört, wurden wir immer lauter und lauter. Wir wollten das Problem lösen, indem wir einfach noch mehr Gas gaben. Wie der Autofahrer, der feststellt, dass sein Benzin knapp wird, und instinktiv aufs Gaspedal drückt, um möglichst schnell die nächste Tankstelle zu erreichen. Obwohl er wissen müsste, dass er sein Ziel sicherer erreicht, wenn er etwas vom Gas geht.


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Die Hamletfrage der Werbung lautet nicht mehr: Auffallen oder Durchfallen? Impact war 20. Jahrhundert.

Momentum ist die Kraft, die Werbung heute braucht.

Wie kann Kommunikation beiläufiges Interesse in nachhaltiges Bewusstsein umwandeln?

Die kleinste wahrnehmbare Zeiteinheit nennen Psychologen Momentum. Beim Menschen beträgt es etwa eine achtzehntel Sekunde. Zwei Reize, die in diesem Intervall aufeinander folgen, werden noch getrennt wahrgenommen.

In der Physik bezeichnet ein Momentum das Produkt zweier physikalischer Größen: Es setzt sich aus Masse und Geschwindigkeit zusammen und bedeutet "gezielte Wucht". Werbung hat dann Momentum, wenn sie Überzeugung und Begeisterung auf einen Moment konzentriert. Wenn sie mit einem Wimpernschlag ein nachhaltiges Erlebnis schafft.


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Momentum bezeichnet exakt die Schnittstelle zwischen Unterhaltung und Überzeugung. Den Moment, in dem eine Werbeidee die Aufmerksamkeit in einen didaktischen Erfolg umwandelt. Ein hohes Momentum spricht nicht nur die Sinne an, sondern gibt dem Denken eine neue Richtung. Das heißt: Momentum dreht nicht nur Köpfe, sondern es dreht in den Köpfen etwas.

Wie erkennt man diese kumulative Kraft? Leider oft erst im Nachhinein. Es kann deshalb kein Patentrezept geben, weil der emotionale Aspekt überwiegt. Hier sind wir Leidensgenossen der Unterhaltungsindustrie. Auch dort beginnt vieles mit Glauben und Hoffen, und hinterher sind alle klüger.

Das Einzige, was berechenbar ist, sind die Voraussetzungen für Momentum: Botschaft und Werbeidee müssen zu einem untrennbaren Nukleus verschmelzen. Und damit eine zielgerichtete Wucht entfachen, die sofort spürbar wird. Und nicht erst, nachdem sie ein Werbeberater wortreich verkauft hat.


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Nur wer vom idealen Weg abweicht, kann andere überholen. Nur wer vom idealen Bildmotiv, von der idealen Dramaturgie, von der idealen Schrift, vom idealen Menschen abweicht, kann Menschen begeistern.

Es ist gut, die wichtigsten Regeln der Kommunikation zu kennen. Dann kann man sie gezielter brechen.

Denn gerade auch Werbeideen stehen in einem harten Wettbewerb. Und je mehr sich alle anstrengen, desto höher liegt die Latte. Ein nett gemachter pfiffiger Spot ist heute nichts mehr, was ein hohes Momentum generiert. Die Dosis liegt höher. Und schädliche Nebenwirkungen sind nicht nachweisbar.

Werbung kann zwar vieles unterlassen, aber nicht viel falsch machen. Das Risiko ist wesentlich geringer, als immer wieder vermutet wird. Der Verbraucher versteht Werbung grundsätzlich positiv. Er hat gelernt, dass Werbung eine Kommunikationsform ist, Produkte oder Dienstleistungen positiv darzustellen. Und so versteht er sie auch. Und deshalb kann man sein Wohlwollen voraussetzen.


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Mancher Werbetreibende denkt, der Verbraucher sitzt vor dem Fernseher, als wäre er ein Kandidat der damaligen Rudi-Carell-Show "Am laufenden Band": voller Ehrgeiz, in 30 Sekunden möglichst viele Dinge im Kopf zu behalten. Ein teurer Irrtum.

Der Verbraucher sitzt ganz anders da: Gelangweilt - schließlich gibt es nichts zu gewinnen. Etwas genervt - sein Programm wurde gerade unterbrochen. Distanziert - wie jeder Mensch, dem jemand versucht, etwas nahe zu bringen, nach dem er gar nicht verlangt hat. Gnädig erlaubt uns der Verbraucher, eine Botschaft loszuwerden.

Aber bitte nur eine. Und natürlich nur, wenn wir sie sehr, sehr charmant vortragen. Wie bereits erwähnt: Die Maxime "Verlange viel, dann bekommst du viel" versagt in der Kommunikation. Momentum ist dem Bescheidenen vorbehalten.

Es gibt das legendäre Bild mit den Tennisbällen: Wenn man dir einen Tennisball zuwirft, wirst du ihn fangen. Wenn man dir fünf zuwirft, wirst du keinen fangen. Wir haben ein eigenes Bild entwickelt, das mit Kommunikation zu tun hat und einem im Berufsalltag öfter passiert, als mit Tennisbällen beworfen zu werden.


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Wer sich auf eine Botschaft beschränkt, hat gute Chancen erinnert zu werden.

Wer den Verbraucher mit einem Bündel an Botschaften überfällt, wird nur das Bündel, aber keine Botschaft ins Ziel bringen.

Vergleichen Sie einmal das Momentum von: Er hat mir eine Rose gebracht. Und: Er hat mir einen Frühlingsstrauß gebracht. Und vergleichen Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis! Eine Blume kann mehr Kraft haben als ein Strauß. Auch wenn der Strauß imposanter ist.


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Die Hauptvoraussetzung für herausragende Kreation ist: single mindedness. Und der Haupteffekt von gutem Planning ist single mindedness. Leider setzt diese Form der Eindeutigkeit Opferbereitschaft voraus. Man muss sich von Botschaften trennen, was ein Auftraggeber nur ungern tut: "Es schadet doch keinem, wenn wir hier noch unser letztes Urteil von der Stiftung Warentest, unsere unverbindliche Preisempfehlung und unsere Telefonnummer einfügen." Doch, es schadet dem Momentum.

Gerade bei uns in Deutschland fällt Konzentration auf das Wesentliche besonders schwer. Wir sind auf Korrektheit und Komplettheit stolz. Auf den Brockhaus und den Duden.

Auch im Managementlehrgang wird Menge gepredigt: Wer viel kriegen will, muss viel fordern. Doch in der Kommunikation bringt Bescheidenheit mehr.

Wer viel kriegen will, muss wenig fordern.

Warum? Ganz einfach: Viel fordern funktioniert nur mit Abhängigen, bei Kommunikation hat man es aber mit freien Menschen zu tun, die nach Lust und Laune selber entscheiden, ob sie auf Ihre Forderungen eingehen.


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Unser Job ist Differenzierung. Differenzierung ist das Gegenteil von Anpassung. Methodisch heißt das, dass die Überlegungen zum Unique Selling Proposition erweitert werden müssen. Der entscheidende Produktvorteil besteht heute vornehmlich in der Möglichkeit, dem Produkt eine Bedeutungshoheit beizumessen. Nicht im funktionalen Gebrauchsnutzen. Das Produkt wird somit zu einer Art Zeichensymbolik, zu einer Sprache, die vom Verwender gelesen und verstanden wird. Die Positionierung einer Marke wird durch das Schaffen eines emotionalen Mehrwerts bestimmt.
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