Wirtschaftsprüfer sind Absahnern auf der Spur

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zombi17:

Wirtschaftsprüfer sind Absahnern auf der Spur

 
30.11.01 15:45
Aus der FTD vom 30.11.2001 www.ftd.de/wirtschaftspruefer
Wirtschaftsprüfer sind Absahnern auf der Spur
Von Christian Baulig, Hamburg, und Sabine Rössing, Frankfurt

Wirtschaftsprüfer haben ein lukratives Geschäftsfeld entdeckt: die Ermittlung von Straftätern in Unternehmen. Die Fahndungsmethoden der privaten Schnüffler sind diskret, aber wenig zimperlich.

 

Einsacken und hoffen - Wirtschaftskriminalität in Deutschland und Europa


Bis zu dreimal in der Woche melden sich am Empfang der Messe Frankfurt drei Herren für Jürgen Seidt. Den Weg zum Büro des Chef der internen Revision im Torhaus kennen die Besucher im Schlaf. Seit Januar kommen sie regelmäßig, um einen der spektakulärsten Korruptionsfälle aufzuarbeiten - mit 100 Verdächtigen, 25 Haftbefehlen und einem Schaden von etwa 12 Mio. DM.

Die drei umtriebigen Kriminalexperten sind weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Polizei. Sie sind Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC), die im Auftrag der Messegesellschaft Licht ins Dunkel bringen soll.


Für die Wirtschaftsprüfer sind Ermittlungen in der Grauzone ein kleines, aber rasant wachsendes Geschäft. Alle großen Häuser wie PwC, Ernst & Young, Arthur Andersen und KPMG bauen derzeit Spezialabteilungen mit so geheimnisvollen Namen wie Forensic Services oder Integrity Services aus. Bis zu 50 Spezialisten werden dort beschäftigt. Im Auftrag von Aufsichtsräten, Vorständen oder Geschäftsführern sind sie Betrügereien und unterschlagenen Geldern auf der Spur, untersuchen gefälschte Bilanzen und Markenpiraterie.



Betrüger im eigenen Haus


Der Bedarf an Aufklärung ist enorm: PwC hat in einer Studie ermittelt, dass beinahe jedes zweite befragte deutsche Unternehmen in den vergangenen zwei Jahren Opfer krimineller Machenschaften geworden ist. Bis zu 500 Mio. DM hätten die Firmen dabei verloren. Arthur Andersen beziffert den Gesamtschaden auf 30 bis 40 Mrd. DM pro Jahr. Die Dunkelziffer ist hoch.


Meist sitzen die Absahner im Haus, nicht selten sind die Täter langjährige Führungskräfte: Chefeinkäufer, die sich bestechen lassen, Bauleiter, die bei mangelhafter Qualität ein Auge zudrücken, wenn davon das eigene Bankkonto profitiert.


Bekannte Beispiele für Wirtschaftskriminalität in Chefetagen sind die Luftbuchungen bei der Ehinger FlowTex, die waghalsige Kreditvergabe bei der Mannheimer Sparkasse, die Tricksereien mit Immobilienrisiken bei der Bankgesellschaft Berlin. Bei der Messe Frankfurt kassierten Angestellte von Lieferanten Bares, ließen sich zum Surfen nach Hawaii einladen oder nagelneue Autos vor die Tür stellen. Im Gegenzug schanzten sie Geschäftspartnern über Jahre lukrative Aufträge zu und segneten überhöhte oder fingierte Rechnungen ab.


Als die Staatsanwaltschaft Ende vergangenen Jahres den ersten Fällen auf die Spur kam, erkannte die Gesellschaft schnell, dass sie die Vorgänge allein kaum würde aufdecken können. "Da fehlte uns die Erfahrung", sagt Andreas Kaster von der Messe Frankfurt. Und die Kapazität. Das Unternehmen beschäftigt sieben eigene Prüfer. "Aber die haben schließlich noch andere Aufgaben", so Kaster.


Drei Mitarbeiter wurden für die Korruptionsrecherchen abgestellt, drei PwC-Leute und ein paar Anwälte hinzugezogen. Gemeinsam durchforsten die Experten seit zehn Monaten mehrere Hundert Aktenordner, überprüfen Aufträge und Rechnungen, befragen Mitarbeiter und Lieferanten.



Firmen sind überfordert


Für die Prüfer sind solche Aufträge ein probates Mittel, sich bei ihrer Kundschaft zu profilieren. Viele Firmen sind schlicht überfordert, wenn sich Delikte einzelner Mitarbeiter zu einem faustdicken Skandal auszuweiten drohen. Sie brauchen erfahrene Krisenmanager.


Betrügereien offenbaren meist Sicherheitslücken und ein schlechtes Controlling. In diesen Bereichen winken dann oft gleich weitere Beratungsaufträge.


Zudem polieren die Anti-Korruptions-Abteilungen das Image der Prüfgesellschaften auf. Die Skandale um Philipp Holzmann, Metallgesellschaft und Bremer Vulkan, bei denen die Kontrolleure Falschbilanzierern aufgesessen sind, haben am guten Ruf der Branche gekratzt. "Wirtschaftsprüfer haben ein dezidiertes Interesse, dass in den Unternehmen sorgfältig gearbeitet wird", sagt Professor Hans See, Vorsitzender der Interessenvereinigung Business Crime Control.


Dieses Anliegen teilen die Kontrolleure mit ihren Mandanten. "Viele Firmen haben begriffen, dass der Schaden durch Korruption weit über den eigentlichen Finanzschaden hinausgeht", sagt Michael Wiehen, Deutschland-Chef von Transparency International (TI), einer Organisation, die jegliche Art von Korruption bekämpft. Sobald die Firma ein Hauch des Unseriösen umweht, könnten Banken Kreditlinien kürzen, Kunden und Lieferanten abspringen.


Für kleine Firmen bedeutet dies schnell das Aus. Bei jeder zweiten mittelständischen Insolvenz, schätzt Dieter John, Leiter der Abteilung Integrity Services bei KPMG, könnte ein wirtschaftskriminelles Delikt im Spiel sein.



Redselige Zulieferer


"Haben die Ermittler mit ihrer Arbeit erst einmal begonnen, gewinnen die Recherchen oft unverhofft an Dynamik", berichtet Steffen Salvenmoser, der für PwC Wirtschaftsdelikten nachspürt. Plötzlich tauchen anonyme Briefe auf, packen Zulieferer und Konkurrenten aus und berichten über Preisdumping, Absprachen, Veruntreuung oder buchhalterische Tricks. Manchmal helfe auch der Zufall, wenn Schreiben oder Anrufe versehentlich beim Kollegen auflaufen.


Was die Wirtschaftsprüfer für die Schnüffelei geradezu prädestiniert, ist ihre viel gerühmte Diskretion. "Wenn’s irgend geht, versuchen die Auftraggeber, die Ergebnisse unter der Decke zu halten", beobachtet Wirtschaftskriminologe See. "Viele Unternehmen ziehen den Goldenen Handschlag einer öffentlichen Auseinandersetzung vor", bestätigt PwC-Mann Salvenmoser. Wer private Ermittler beauftragt, entscheidet selbst, was die Strafverfolgungsbehörden erfahren und was nicht. Damit können die Auftraggeber "das Ergebnis der Untersuchungen selbst kontrollieren", sagt TI-Vorsitzender Wiehen.


Bei der Messe Frankfurt legen die Prüfer die Karten - nolens volens - offen auf den Tisch. "Und zwar komplett", wie Messesprecher Kaster betont. Man habe schließlich nichts zu verbergen. "Die Zusammenarbeit klappt hervorragend", lobt auch Job Tillmann, Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft. "Das ist ein Geben und Nehmen", sagt der Jurist, "ohne unsere Erfahrungen würden die oft nicht den Knackpunkt finden." Und ohne die Mithilfe der Prüfer müsste die Behörde mehr Leute für den Fall abstellen.


Wenn es im Sinn des Auftraggebers ist, erhalten überlastete und oft schlecht ausgestattete Staatsanwälte hervorragend aufbereitetes Beweismaterial von den Privatermittlern. Seine Abteilung trage (Können wir das Zitat bereits hier beginnen lassen?) durch die Sicherung und Interpretation von Informationen dazu bei, eine etwaige Strafanzeige "anzufüttern", sagt Thomas Spemann von Arthur Andersen. Und KPMG-Mann John rühmt sich, sein Team habe allein in den vergangenen Monaten vier Strafanzeigen vorbereitet: "Dank unseres Materials war der Staatsanwalt sofort handlungsfähig."



Prüfer erhalten heiße Tipps


Zuweilen haben die Prüfer heiße Tipps, wenn es darum geht, Beweismaterial zu sichern oder veruntreute Vermögenswerte wiederzubeschaffen. "In solchen Fällen geben wir schon mal weiter, wo ein Verdächtiger seine Skihütte hat", sagt Klaus Fischer, Chef der Abteilung Forensic Services bei Ernst & Young.


Bei der Vorgehensweise stehen die Wirtschaftsprüfer den Beamten in nichts nach. Neben Bilanzexperten, IT-Spezialisten oder Bauingenieuren beschäftigen sie auch ehemalige Polizisten und Staatsanwälte. "Wer Betrügern auf die Schliche kommen will, muss ihre Methoden kennen", sagt PwC-Experte Salvenmoser.


Die Profis gehen bei ihrer Arbeit wenig zimperlich vor. Verdächtigen, werde ordentlich auf den Zahn gefühlt, sagen die Fahnder ohne staatlichen Auftrag selbstbewusst. Dabei scheuen sie nicht einmal vor Derrick-Methoden zurück wie dem Verhör mit verteilten Rollen. Die Befugnisse der Privat-Ermittler enden allerdings dort, wo staatliches Hoheitsrecht beginnt, bei Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Festnahmen.



Rechtfertigung "rüder Methoden"


"Das Ergreifen entschiedener Maßnahmen (ist) ein wichtiger Bestandteil für das Entstehen einer ,Präventionskultur‘", rechtfertigt PwC in einer Studie die teils rüden Methoden. Eine Auffassung, die mancher Experte nicht teilt. "Prävention darf nicht allein aus Abschreckung bestehen", sagt Josef Wieland, Chef des Zentrums für Wirtschaftsethik in Konstanz. Unternehmen müssen ihre Anreize so verändern, dass "abweichendes Verhalten" unattraktiv werde.


ABB, die Bahn oder Philipp Holzmann beherzigen diesen Rat: Mitarbeiter auf anfälligen Positionen müssen regelmäßig rotieren, Vergütungssysteme belohnen Sparsamkeit statt Kaufrausch, Verhaltensregeln werden klar formuliert. Die Messe Frankfurt muss hingegen erst einmal weiter auf den Eisatz externer Ermittler setzen. Zumal sich die Expertise der PwC-Mitarbeiter ausgezahlt hat. Ein Fünftel der Schadenssumme konnte das Unternehmen bei den Verursachern bereits eintreiben, auf weitere 70 Prozent hält es zumindest die Hand.


Damit ergeht es der Messe besser als den meisten Opfern: Laut PwC kann nur jedes fünfte Unternehmen damit rechnen, mehr als die Hälfte der erlittenen Verluste zurückzubekommen. "Die meisten Täter haben ihre Schuld sofort eingestanden, als wir ihnen die Recherche-Ergebnisse präsentierten", erzählt Messemann Kaster. "Wären wir in jedem einzelnen Fall vor Gericht gezogen, hätte das Jahre gedauert."



© 2001 Financial Times Deutschland , © Illustration:  FTD
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