29.10.2008 15:01 Zwischen Gier und Angst
Bei vielen Anlegern liegen derzeit die Nerven blank. Kurskapriolen an der Börse verunsichern beinahe jeden Tag. Rationale Entscheidungen scheinen unmöglich. In Crash-Zeiten sitzen viele Anleger in der Psycho-Falle.
Dax und Dow fallen an einem Tag wie ein Stein, an den Börsen scheint Panik zu herrschen. Und am nächsten Tag geht eine Rally los, wie sie selbst lang gediente Marktteilnehmer noch nicht gesehen haben. Der Wert der Anlegerdepots schrumpft entsprechend dramatisch, nur um tags darauf gleich wieder enorm anzuwachsen. Kaufen und Verkaufen werden im Herbst 2008 zur Frage von Leben und Tod, der Wahnsinn auf dem Parkett wird zum Börsenalltag.
Erst mal zur Besinnung kommen
Nicht von ungefähr haben in den vergangenen Wochen viele Experten zu einer Zwangspause von der Börsenspirale geraten. Börsenpsychologe Joachim Goldberg von Cognitrend etwa hatte vor einigen Tagen empfohlen, die Aktienbörsen weltweit zu schließen, um dem Anleger Zeit zur Besinnung zu geben. Goldberg diagnostizierte einen "kollektiven Kontrollverlust", der dazu führe, dass viele Menschen ihre Aktien kopflos verkauften. Dies habe "irrationale Züge".
Vertreter der "Behavioral Finance", eines Teils der Finanzwissenschaft, die sich mit der Psychologie der Anleger beschäftigt, wissen um die Mechanismen, die bei Anlegern wirken, wenn es "ums Geld" geht.
Wenn die Wahrnehmung die Entscheidung rechtfertigt
Der bekannteste Mechanismus dürfte die menschliche Technik zur Vermeidung "kognitiver Dissonanzen" sein. Im Anlageverhalten schlägt sich dieser Mechanismus zumeist so nieder: Ein Aktienkauf wird im Nachhinein auch dann gerechtfertigt, wenn die Position deutlich ins Minus läuft. Verluste werden als "vorübergehend" bewertet. Die Realität und die eigene Entscheidung sind wieder in Einklang gebracht, der "Seelenfrieden" wieder hergestellt.
Wer aus Furcht vor Fehlentscheidungen lieber gar keine Entscheidung bei seiner Anlage treffen will, auf den trifft möglicherweise die in der Behavioral Finance als "Verhaltensanomalie" bezeichnete "Regret aversion" zu. Verhaltensforscher haben herausgefunden, dass falsche Entscheidungen oft höher bewertet werden als richtige. In der Folge vermeiden Anleger Entscheidungen generell, egal ob sie bereits investiert sind oder nicht.
Auch Profits folgen dem Herdentrieb
In hoch schwankungsanfälligen Märkten spielt vor allem ein weiterer psychologischer Effekt bei Investoren eine Rolle: das Herdenverhalten. In einer Anleger-"Herde" richten Investoren ihr Verhalten vor allem an dem Verhalten anderer Marktteilnehmer aus, weniger an rationalen Erwägungen. Die Verhaltensforschung hat durch viele empirische Untersuchungen belegt, dass gerade in Crash- und Boomphasen auch ansonsten "vernünftige" Menschen sich stark vom Herdentrieb mitreißen lassen. Dabei folgt man im Extremfall sogar dann der Masse der Anleger, wenn man die Handlungsweise rational bereits als falsch begriffen hat.
Die Kurseruptionen am Aktienmarkt, aber auch am Devisen- und Rohstoffmarkt in den vergangenen Tagen sind auch nach Aussagen von professionellen Händlern stark vom Herdenverhalten geprägt gewesen.
Die Frage, wie sich Anleger in einer psychologisch so schwierigen Zeit verhalten sollten, bleibt freilich auch dann schwer zu beantworten, wenn man sich über die eigenen Verhaltensmechanismen im Klaren ist.
Gegen den Strom schwimmen
Viele Behavioral-Finance-Experten sehen in einer klaren vorherrschenden Meinung am Markt eine mögliche Handlungsempfehlung: Nämlich genau das Gegenteil dessen zu tun, was die Mehrheit erwartet. In der gegenwärtigen Stimmungsdepression wäre nach dieser These bereits der Zeitpunkt gekommen, wieder in den Aktienmarkt einzusteigen.
Doch wenn man verschiedene Stimmungsbarometer (Sentiment-Indizes) genauer anschaut, ist diese Empfehlung nur eingeschränkt zu vertreten. Denn was den mittelfristigen Anlagehorizont anbelangt, ist die Stimmung unter den Investoren gar nicht so schlecht. Für Experten wie Thomas Theuerzeit von der Postbank ein Hinweis darauf, dass es nach einer kurzen Erholung noch weiter bergab gehen könnte: "Viele Anleger, sowohl private als auch institutionelle, bauen bereits wieder Positionen auf im Glauben, die Krise sei schon so gut wie überwunden." (s. unser Interview)
Langfristige Strategie hilft
Vermögensverwalter und Fondsmanager Jens Ehrhardt empfiehlt Anlegern, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich auf fundamentale Informationen zu verlassen. Man müsse eine "langfristige Strategie haben" und sich überlegen, "wie man aufgestellt sein möchte". Ehrhardt selbst hat diese Entscheidung bereits getroffen: Er hat bei einigen seiner Fonds "Kasse gemacht" und seine Barquote zum Teil auf 80 Prozent erhöht. Bei seinen verbliebenen Aktienpositionen konzentriert er sich strikt auf Unternehmen, die auch in einer möglichen Wirtschaftsflaute noch Gewinne erzielen können.
AB
Bei vielen Anlegern liegen derzeit die Nerven blank. Kurskapriolen an der Börse verunsichern beinahe jeden Tag. Rationale Entscheidungen scheinen unmöglich. In Crash-Zeiten sitzen viele Anleger in der Psycho-Falle.
Dax und Dow fallen an einem Tag wie ein Stein, an den Börsen scheint Panik zu herrschen. Und am nächsten Tag geht eine Rally los, wie sie selbst lang gediente Marktteilnehmer noch nicht gesehen haben. Der Wert der Anlegerdepots schrumpft entsprechend dramatisch, nur um tags darauf gleich wieder enorm anzuwachsen. Kaufen und Verkaufen werden im Herbst 2008 zur Frage von Leben und Tod, der Wahnsinn auf dem Parkett wird zum Börsenalltag.
Erst mal zur Besinnung kommen
Nicht von ungefähr haben in den vergangenen Wochen viele Experten zu einer Zwangspause von der Börsenspirale geraten. Börsenpsychologe Joachim Goldberg von Cognitrend etwa hatte vor einigen Tagen empfohlen, die Aktienbörsen weltweit zu schließen, um dem Anleger Zeit zur Besinnung zu geben. Goldberg diagnostizierte einen "kollektiven Kontrollverlust", der dazu führe, dass viele Menschen ihre Aktien kopflos verkauften. Dies habe "irrationale Züge".
Vertreter der "Behavioral Finance", eines Teils der Finanzwissenschaft, die sich mit der Psychologie der Anleger beschäftigt, wissen um die Mechanismen, die bei Anlegern wirken, wenn es "ums Geld" geht.
Wenn die Wahrnehmung die Entscheidung rechtfertigt
Der bekannteste Mechanismus dürfte die menschliche Technik zur Vermeidung "kognitiver Dissonanzen" sein. Im Anlageverhalten schlägt sich dieser Mechanismus zumeist so nieder: Ein Aktienkauf wird im Nachhinein auch dann gerechtfertigt, wenn die Position deutlich ins Minus läuft. Verluste werden als "vorübergehend" bewertet. Die Realität und die eigene Entscheidung sind wieder in Einklang gebracht, der "Seelenfrieden" wieder hergestellt.
Wer aus Furcht vor Fehlentscheidungen lieber gar keine Entscheidung bei seiner Anlage treffen will, auf den trifft möglicherweise die in der Behavioral Finance als "Verhaltensanomalie" bezeichnete "Regret aversion" zu. Verhaltensforscher haben herausgefunden, dass falsche Entscheidungen oft höher bewertet werden als richtige. In der Folge vermeiden Anleger Entscheidungen generell, egal ob sie bereits investiert sind oder nicht.
Auch Profits folgen dem Herdentrieb
In hoch schwankungsanfälligen Märkten spielt vor allem ein weiterer psychologischer Effekt bei Investoren eine Rolle: das Herdenverhalten. In einer Anleger-"Herde" richten Investoren ihr Verhalten vor allem an dem Verhalten anderer Marktteilnehmer aus, weniger an rationalen Erwägungen. Die Verhaltensforschung hat durch viele empirische Untersuchungen belegt, dass gerade in Crash- und Boomphasen auch ansonsten "vernünftige" Menschen sich stark vom Herdentrieb mitreißen lassen. Dabei folgt man im Extremfall sogar dann der Masse der Anleger, wenn man die Handlungsweise rational bereits als falsch begriffen hat.
Die Kurseruptionen am Aktienmarkt, aber auch am Devisen- und Rohstoffmarkt in den vergangenen Tagen sind auch nach Aussagen von professionellen Händlern stark vom Herdenverhalten geprägt gewesen.
Die Frage, wie sich Anleger in einer psychologisch so schwierigen Zeit verhalten sollten, bleibt freilich auch dann schwer zu beantworten, wenn man sich über die eigenen Verhaltensmechanismen im Klaren ist.
Gegen den Strom schwimmen
Viele Behavioral-Finance-Experten sehen in einer klaren vorherrschenden Meinung am Markt eine mögliche Handlungsempfehlung: Nämlich genau das Gegenteil dessen zu tun, was die Mehrheit erwartet. In der gegenwärtigen Stimmungsdepression wäre nach dieser These bereits der Zeitpunkt gekommen, wieder in den Aktienmarkt einzusteigen.
Doch wenn man verschiedene Stimmungsbarometer (Sentiment-Indizes) genauer anschaut, ist diese Empfehlung nur eingeschränkt zu vertreten. Denn was den mittelfristigen Anlagehorizont anbelangt, ist die Stimmung unter den Investoren gar nicht so schlecht. Für Experten wie Thomas Theuerzeit von der Postbank ein Hinweis darauf, dass es nach einer kurzen Erholung noch weiter bergab gehen könnte: "Viele Anleger, sowohl private als auch institutionelle, bauen bereits wieder Positionen auf im Glauben, die Krise sei schon so gut wie überwunden." (s. unser Interview)
Langfristige Strategie hilft
Vermögensverwalter und Fondsmanager Jens Ehrhardt empfiehlt Anlegern, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich auf fundamentale Informationen zu verlassen. Man müsse eine "langfristige Strategie haben" und sich überlegen, "wie man aufgestellt sein möchte". Ehrhardt selbst hat diese Entscheidung bereits getroffen: Er hat bei einigen seiner Fonds "Kasse gemacht" und seine Barquote zum Teil auf 80 Prozent erhöht. Bei seinen verbliebenen Aktienpositionen konzentriert er sich strikt auf Unternehmen, die auch in einer möglichen Wirtschaftsflaute noch Gewinne erzielen können.
AB