Grüner Wahnsinn mit erneuerbaren Energien
16.04.2008 Franz Rother, Wolfgang Kempkens, Susanne Kutter, Jürgen Rees, Martin Seiwert, Steffi Augter (Berlin), Silke Wettach (Brüssel), Alexander Busch (São Paulo), Matthias Kamp (Peking) 2 Kommentare10
Die Begeisterung für die erneuerbaren Energien hat sich abgekühlt: Biosprit schadet dem Klima mehr, als er ihm hilft; Wind- und Sonnenkraftwerke liefern zu wenig und viel zu teuren Strom. Notwendig ist eine Generalrevision der Umweltpolitik – die Techniken und Konzepte für die neue Biovernunft stehen bereit.
Windkraft erzeugt erneuerbare Bild vergrößern Windkraft erzeugt erneuerbare Energien REUTERS
Neuerdings befällt Claus Sauter, Chef des Leipziger Biokraftstoff-Konzerns Verbio, Schwermut beim Anblick seiner Biospritfabrik im brandenburgischen Schwedt. 60 Millionen Euro hat der Bau der Anlage Ende 2004 verschlungen, knapp 14 Millionen davon hat das Land Brandenburg damals zugeschossen. 700.000 Tonnen Getreide sollten auf dem weitläufigen Gelände im Gewerbepark an der Passower Chaussee eigentlich jährlich zu Ethanol vergoren werden. „Pack die Sonne in den Tank“, hieß ein Werbespruch, mit der Verbio Autofahrer für den Kraftstoff vom Acker zu begeistern suchte. Doch inzwischen haben die Autofahrer aus der Region, die sich von der Werbung locken ließen, Probleme, Nachschub zu bekommen. Denn seit Herbst 2007 arbeitet die Raffinerie nur mit halber Kraft, weil der Rohstoff zu teuer geworden ist. Die 92 Beschäftigten arbeiten seitdem kurz.
Auch beim zweiten großen Produzenten von Biosprit in Ostdeutschland, der Südzucker-Tochter CropEnergies in Zeitz südlich von Gera, herrscht Katerstimmung. Der Grund ist nicht so sehr die Entscheidung von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, die eigentlich für den 1. Januar 2009 geplante Zwangsbeimischung von zehn Prozent Ethanol zum Benzin zu stoppen. Die dafür benötigte Menge von jährlich 1,5 Millionen Kubikmeter hätten deutsche Biospritfabriken ohnehin nicht liefern können, sie hätte deshalb aus Brasilien importiert werden müssen. Nein, der Grund für die Probleme in Zeitz ist der gleiche wie in Schwedt: Die Herstellung von Biokraftstoffen rechnet sich hierzulande nicht mehr. Denn der Preis für die Tonne Getreide ist im vergangenen Jahr aufgrund der weltweiten Nachfrage nach diesem wichtigen Rohstoff für die Biosprit-, Lebensmittel- und Futtermittelindustrie explodiert, von 70 Euro auf 230 Euro.
Die Raffinerie in Schwedt hat deshalb nicht nur ihre Produktion gedrosselt, um die Verluste in Grenzen zu halten. Verbio-Chef Sauter hat auch entschieden, den Vorrat von 400.000 Tonnen Weizen, den sein Unternehmen eingelagert hatte, an einen Mühlenbetrieb zu verkaufen. Das bringt mehr Geld in die klamme Firmenkasse als die Weiterverarbeitung zu Ökokraftstoff. Ob die Produktion von Bioethanol in Schwedt jemals wieder unter Volllast laufen wird – wer weiß. „Keiner kann derzeit sagen, wo es mit Ethanol hingeht“, klagt der Manager und verweist auf die USA, wo trotz staatlicher Subventionen von jährlich bis zu 7,3 Milliarden Dollar die ersten Ethanolraffinieren den Betrieb einstellen mussten.
Auf Euphorie folgt Ernüchterung. Um die Folgen des Klimawandels abzumildern und die fossilen Ressourcen zu schonen, hatte die Politik nicht nur in Deutschland und den USA auf den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt. Investiert und gefördert wurde nach dem Gießkannenprinzip. Mit Steuermitteln und Risikokapital haben die Industrienationen in Europa, Amerika und Asien nicht nur die Kapazitäten zur Produktion von Agrarsprit enorm ausgebaut. Gleichzeitig schossen überall Windmühlen wie Spargel aus dem Boden, wurden Millionen Quadratmeter von Dachflächen mit Solarzellen zugepflastert, Riesenstaudämme aus dem Boden gestampft und Abertausende tiefe Löcher in den Planeten gebohrt, um die Erdwärme anzuzapfen. Die Energien aus Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme und vom Acker wurden zu Wundermitteln stilisiert. Kaum jemand fragte genau nach, ob sie die hohen Erwartungen tatsächlich erfüllen können. Untersuchungen, wann die Förderung ökonomisch Sinn hat und welchen Nutzen die Technologien für das Klima haben, gab es nur sporadisch und oft auch nur oberflächlich. Doch inzwischen wird immer deutlicher, dass die Regenerativen in der heutigen Verfassung nur zum Teil halten, was ihre Verfechter versprachen. Nicht nur der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker will ihnen deshalb den „teuren Heiligenschein“ nehmen.
Das Ökoimage der Bioenergie wankt, urteilt Professor Johann Köppel vom Fachgebiet Landschaftsplanung und Umweltverträglichkeitsprüfung der Technischen Universität Berlin. Doch in den Investitionen hat sich das noch nicht niedergeschlagen. Nach einer aktuellen Studie des internationalen Renewable Energy Policy Network (kurz: Ren21) wurden im vergangenen Jahr weltweit über 100 Milliarden Dollar in den Ausbau der Kapazitäten gesteckt. Weltweit werden aktuell etwa 240 Gigawatt Strom mithilfe regenerativer Energiequellen erzeugt – 50 Prozent mehr als 2005. „Die Erzeuger erneuerbarer Energien setzen damit ihren kometenhaften Aufstieg fort“, jubelt Mohamed El-Ashry, der Vorsitzende des von Politik und Industrie getragenen Netzwerks.
140 börsennotierte Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von jeweils wenigstens 40 Millionen Euro zählte das Netzwerk Ren21 im vergangenen Sommer. Zusammen kamen sie auf einen Börsenwert von über 100 Milliarden Euro. Zu den Schwergewichten der Branche zählen auch deutsche Unternehmen: Enercon und Nordex als führende Hersteller von Windkraftanlagen, Siemens mit Windenergieanlagen, Voith Siemens Hydro Power mit seinen weltweit eingesetzten Wasserkraftwerken, Q-Cells aus Sachsen-Anhalt als größter Solarzellenproduzent der Welt. In der Solarthermie mischt Viessmann vorne mit, bei den Biogasanlagen Lurgi, in der Wasserstofftechnik der Linde-Konzern. Hinzu kommen unzählige Mittelständler. Insgesamt erzielten die deutschen Hersteller 2007 mit Umwelttechnik rund zwölf Milliarden Euro Umsatz, knapp die Hälfte davon mit Windenergie, ein Drittel mit Solarenergie. Mit 20 Prozent Weltmarktanteil bei den erneuerbaren Energien liegt Deutschland – zusammen mit Japan und den USA – in der Spitzengruppe. Bei Biogasanlagen kommen die heimischen Produzenten sogar auf 65 Prozent, bei der Fotovoltaik auf 41 Prozent.
Und ihre Perspektiven gelten weiterhin als gut: Der weltweite Markt für umweltfreundliche Energieerzeugung wird nach Einschätzung der Unternehmensberatung Roland Berger von jetzt rund 45 Milliarden auf bis zu 250 Milliarden Euro im Jahr 2020 anwachsen. Allein die Nachfrage nach Solarzellen soll jährlich um 20 Prozent steigen. Die Windenergie könnte sogar noch stärker zulegen.
Allerdings muss sich die Branche auf eine Kappung der üppig sprudelnden Fördergelder einstellen. Die Bundesregierung hat Ende 2007 eine Novelle des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) beschlossen. Das Gesetz garantiert den Betreibern von Wind-, Biomasse- und Solaranlagen, dass sie ihren Strom in unbegrenzter Höhe ins öffentliche Netz einspeisen dürfen – zu festen Tarifen, die teils deutlich über den Marktpreisen liegen. Während der Börsenpreis für konventionell erzeugten Strom bei etwa sechs Cent pro Kilowattstunde liegt, kostet Windstrom rund acht Cent pro Kilowattstunde – und ist damit im Vergleich zu Solarstrom noch relativ günstig. Doch das EEG sieht heute für Strom aus Sonne eine Einspeisevergütung von bis zu 50 Cent pro Kilowattstunde vor, also mehr als das Achtfache des Börsenpreises – und das, obwohl noch nicht einmal ein Prozent der Elektrizität aus Fotovoltaikanlagen stammt. Das könnte sich nun ändern. Der Gesetzentwurf von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel soll in den nächsten Wochen im Bundestag verabschiedet werden. Er sieht vor, die Einspeisevergütung 2009 um neun Prozent zu kürzen, im Folgejahr um sieben und von 2011 an um jährlich acht Prozent.
Für Gabriel bedeutet das einen schwierigen Spagat. Einerseits sollen die Kosten für den Steuerzahler sinken. Auf der anderen Seite aber soll der Anteil von Wind, Sonne, Wasser und Biomasse an der Stromerzeugung in Europa bis zum Jahr 2020 von derzeit 8,5 auf 20 Prozent steigen. Die EU-Kommission hat dazu allen 27 Mitgliedstaaten konkrete Ziele vorgegeben. Alle Länder müssen bis dahin mindestens 5,5 Prozent mehr erneuerbare Energien einsetzen. In Deutschland soll der Anteil erneuerbarer Energie auf 18 Prozent steigen – heute liegt er bei neun Prozent. Beim Biostrom betrug der Anteil nach Erhebungen des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) 2007 schon 14 Prozent. Bis 2020 will Gabriel auf 40 Prozent kommen.
Ehrgeizige Ziele. Doch ob sie sich erreichen lassen, ist fraglich. Denn einige der Ökoenergien stoßen in Europa schon an Wachstumsgrenzen. „Wind hat von allen erneuerbaren Energien bisher die vielversprechendsten Ergebnisse geliefert“, findet EU-Energiekommissar Andris Piebalgs und weist darauf hin, dass Wind bereits vier Prozent der EU-Stromnachfrage deckt. Bis 2020 soll der Anteil von Wind am Strommix auf zwölf Prozent steigen, ein Drittel davon sollen Offshore-Anlagen vor der Küste liefern. Der Verband der Europäischen Windenergiehersteller (EWEA) bezweifelt aber, ob der starke Anstieg der vergangenen Jahre aufrecht erhalten werden kann. „Ich denke nicht, dass wir so hohe Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren sehen werden“, sagt EWEA-Chef Christian Kjaer. In Deutschland beispielsweise fehlt es dazu an Netzinfrastruktur. Außerdem leidet die Windkraftbranche unter steigenden Kosten für Kupfer und Stahl. In Europa fehlen außerdem Techniker und Ingenieure mit den benötigten Fachkenntnissen. Obendrein wirft die Einspeisung des Windstroms in die Netze große Probleme auf. Kjaer: „Das sind enorme Herausforderungen.“
Vor denen steht auch die Solarenergie. Rund 1,8 Milliarden Euro haben die heimischen Stromverbraucher 2007 in Form von Einspeisevergütungen für Solarstrom bezahlt. Dass es nicht noch mehr wurde – auf Windstrom entfielen 3,6 Milliarden Euro –, lag am schlechten Wetter hierzulande.
Neuartige Solarzellen, die hoch konzentriertes Sonnenlicht umwandeln, verdoppeln den Wirkungsgrad zwar fast. Die Technik, die von der Münchner SolarTec und Concentrix Solar aus Freiburg zur Marktreife gebracht wurde, lässt sich allerdings nur in sonnenreichen Regionen effektiv nutzen, weil sie direkte Strahlung braucht. Viel wäre also gewonnen, stünden die Solarkraftwerke in Südspanien, besser noch in Nordafrika. Dann wäre der Stromertrag deutlich mehr als doppelt so hoch. Umgewandelt in Gleichstrom ließe sich die dort erzeugte Energie über spezielle Leitungen ohne große Verluste in die europäischen Ballungsräume transportieren, so eine Vision des Energiekonzerns ABB und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Eine Realisierung der Pläne würde allerdings Jahrzehnte brauchen.
Visionen ganz anderer Art plagen die Politiker beim Thema Biosprit. Denn der angeblich so umweltfreundliche Kraftstoff ist bei näherem Hinsehen ein ökologischer Albtraum: Der Energieaufwand für die Herstellung ist größer als der Energiegehalt des gewonnenen Benzins, hinzu kommen Belastungen für die Böden und der Luft durch Düngemittel. Und obendrein bedroht der massenhafte Anbau der für die Erzeugung des Biosprits nötigen Pflanzen den Regenwald in Amazonien – was allerdings von der brasilianischen Regierung heftig zurückgewiesen wird.
Zudem drohen soziale Verwerfungen: Die weltweite Verarbeitung von Mais, Zuckerrüben, Raps, Soja, Zuckerrohr oder Getreide zu Kraftstoff hat überall die Preise für Lebensmittel kräftig in die Höhe getrieben (siehe Grafik Seite 102). Vergangene Woche brachen wegen der dramatisch gestiegenen Nahrungsmittelpreise in Haiti, Indonesien und einem halben Dutzend afrikanischer Staaten Unruhen aus. Auch die Regierungen Chinas und anderer asiatischer Länder sind alarmiert: Viele Bauern dort steigen auf den Anbau von Mais, Weizen und Ölsaaten um, weil sich mit dem Verkauf der Ernte an Biosprithersteller höhere Erlöse erzielen lassen als etwa mit Reis. China hat deshalb bereits die Herstellung von Ethanol aus Getreide, Reis und Mais verboten.
Jean Ziegler, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, kritisiert die derzeitige Praxis, Lebensmittel zu Biosprit zu verarbeiten, als „katastrophal“. Sein Fazit: „Fruchtbares Ackerland der Kraftstoffproduktion zu widmen ist ein Verbrechen.“ Kritik kommt auch aus der Lebensmittelindustrie. Für Peter Brabeck, den Chef des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé, ist es „unverantwortlich und moralisch inakzeptabel, dass man enorme Subventionen zahlt, um aus Lebensmitteln Biotreibstoff zu machen. Wenn man 20 Prozent des steigenden Erdölbedarfs mit Biotreibstoffen decken will, dann gibt es bald nichts mehr zu essen“. Das sei politischer Wahnsinn.
Allmählich dämmert das auch den Politikern in Brüssel. Das EU-Klimapaket enthält derzeit noch die Vorgabe, den Anteil des Biosprits bis 2020 auf zehn Prozent zu erhöhen. Dadurch sollten die CO2-Emissionen in Europa um 35 Prozent gesenkt werden. Doch inzwischen gibt es Forderungen, von diesem Ziel abzurücken: Abgeordneten und nationalen Regierungen wird zunehmend bewusst, dass das ehrgeizige Biosprit-Ziel der Umwelt alles andere als gut tut. Es sei völlig unklar, ob die höhere Beimischung weltweit überhaupt CO2-Emissionen senke, sagen auch Forscher der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission, einem Institut mit 2700 Experten. Schaden entstünde zum Beispiel durch die intensive Düngung, die notwendig ist, um den Raps, Weizen oder Mais wachsen zu lassen. In der Düngemittelproduktion und beim Einsatz von Stoffen auf dem Feld aber werden große Mengen Lachgas freigesetzt. Und Lachgas ist 310-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.
Die Biospritförderung wäre auch mit enormen finanziellen Belastungen verbunden. Die Nettokosten der Biospritpolitik im Zeitraum 2007 bis 2020 schätzt die EU-Forschungsstelle auf 33 bis 65 Milliarden Euro: „Diese Größenordnung deutet darauf hin, dass das Biospritprogramm nicht zum Ziel führt.“ Arbeitsplätze in Europa entstünden unterm Strich kaum, weil der Sprit größtenteils aus anderen Ländern wie Brasilien eingeführt werden müsste.
Was also tun? Die Hoffnungen der Politik ruhen auf den Anstrengungen von Forschern in aller Welt, die Kraftstoffe entweder aus Zellulose oder mithilfe von Algen gewinnen wollen. „Die Bioethanolproduktion ist heute weder nachhaltig noch innovativ“, wettert Holger Zinke, einer der Pioniere der industriellen Biotechnik und Gründer der Brain AG im hessischen Zwingenberg. „Wir verwenden die winzige Menge Ethanol, die die Hefen als Abfallstoff ausscheiden und werfen die große Menge an Biomasse, nämlich die Hefezellen, ungenutzt auf den Müll.“
Choren will das ändern. Das Unternehmen hat kürzlich die weltweit erste großtechnische Anlage, in der synthetischer Dieselkraftstoff aus Biomasse gewonnen wird, im sächsischen Freiberg in Betrieb genommen (WirtschaftsWoche 11/2008). Hier wird Biomüll, Stroh und Holz – zunächst in Synthesegas, später in sogenanntes Synfuel umgewandelt. Die Freiberger Anlage hat eine Jahreskapazität von 15 000 Tonnen. Die mit 200 000 Tonnen nächstgrößere Produktionsstätte soll ab 2009 in Schwedt an der Oder entstehen. Für den Nachschub an Rohstoffen werden dort Plantagen mit Pappeln, Ahornbäumen und anderen Nutzpflanzen sorgen. Erwartet wird ein Ertrag von gut 4000 Litern Sprit von einem Hektar Fläche. Zum Vergleich: Ein Hektar Raps liefert heute lediglich 1300 Liter Biodiesel.
Synthetischen Dieselkraftstoff soll auch eine Anlage liefern, die das deutsche Unternehmen Zibo Treichel Industry & Trade in der chinesischen Provinz Shandong vorbereitet. Ausgangsstoff ist hier Stroh. In einem BioLiq genannten Verfahren, das Wissenschaftler des Forschungszentrums Karlsruhe entwickelt haben, wird das Stroh in eine erdölähnliche Masse umgewandelt. In weiteren Schritten können aus dieser Masse unterschiedliche Treibstoffe – neben Diesel auch Kerosin – hergestellt werden. Das kanadische Unternehmen Iogen verfolgt bei der Verarbeitung von Stroh noch ehrgeizigere Pläne: Es setzt nicht nur bei der Vergärung auf Biotechnik, sondern auch beim sogenannten Aufschluss, der Abtrennung der Zellulose von Lignin. Das ist der Stoff, der die Pflanzenfasern wie ein Klebstoff miteinander verbindet. Ähnliche Versuche laufen in Brasilien. Dort liefern Eukalyptuspflanzen die Zellulose.
„Die Technik ist durchaus vorhanden, um Zellulose-Ethanol herzustellen“, sagt McKinsey-Energieexperte William Ceasar. „Aber bislang ist es noch niemandem gelungen, dies auch wirtschaftlich zu tun.“
Das gilt auch für den Einsatz von Öl produzierenden Algen zur Spritproduktion. Bislang ist dies nur im Labormaßstab gelungen. E.On, Bluebio Tech aus dem schleswig-holsteinischen Kollmar und Laurenz Thomsen, Professor für Geowissenschaften an der Jacobs Universität Bremen, haben 2005 und 2006 am Bremer Kraftwerk Farge Mikroalgen aus dem Meer mit den Abgasen des Kraftwerks gefüttert. Bis zu 70 Prozent ihrer Masse bestand zum Schluss aus Öl, das herausgepresst und in Biodiesel umgewandelt werden konnte.
Thomsen rechnet mit Investitionen von bis zu 15 Millionen Euro pro Hektar Fläche für eine Algenzucht, die jährlich bis zu zwölf Millionen Liter Biodiesel erzeugen könnte. Das wären weniger als 0,5 Prozent des Kraftstoffverbrauchs in Deutschland. Dazu kämen noch Betriebskosten von bis zu vier Millionen Euro pro Jahr. Im günstigsten Fall lägen die Produktionskosten bei 45 Eurocent pro Liter.
Genaueren Aufschluss könnte ein Projekt von E.On und der Hamburger SSC Strategic Science Consult bringen. Auf dem Gelände des Erdgaskraftwerks in Hamburg-Reitbrook bauen sie derzeit eine Algenzuchtanlage, die mit Kraftwerkskohlendioxid versorgt wird. Die Investitionssumme für die im Endausbau 10.000 Quadratmeter große Anlage liegt bei 2,2 Millionen Euro. Das erste Modul auf einer Fläche von 100 Quadratmetern geht im kommenden Monat in Betrieb. „Anfangs produzieren wir aber nur ein paar Eimer voll“, warnt Projektleiter Martin Kerner vor überzogenen Erwartungen.
Auch Biotechnik-Pionier Holger Zinke hat ein Faible für Algen. Vor allem für jene kleinen, die sich wie Hefen in modernen Braukesseln, den sogenannten Biofermentern, züchten lassen. Sein Unternehmen versucht für einen europäischen Industriepartner gerade einige dieser Algen mit gentechnischen Veränderungen so umzuerziehen, dass sie besonders viel Speicherstoffe wie Öle und Fette produzieren. „Es wird eines Tages möglich sein, die Energie, die Pflanzen und Algen durch die Fotosynthese aus dem Sonnenlicht aufnehmen und speichern, in flüssiger und für Fahrzeuge verdauliche Form wieder zurückzugewinnen“, ist Zinke überzeugt.
Bei allen vielversprechenden Ansätzen für die Zukunft: Bis die neuen Techniken und Verfahren ausgereift sind und im großen Maßstab Strom und Kraftstoffe liefern, werden noch viele Jahre vergehen. Um den Subventionswahn zu stoppen und den Klimazielen näherzukommen, ohne die Energieversorgung in Deutschland zu gefährden, fordern Experten wie der Bonner Ökonom von Weizsäcker eine gründliche Revision der gegenwärtigen Energie- und Umweltpolitik. Ihr Ansatz: Weg mit den ideologischen Scheuklappen, stattdessen mehr Realismus.
Die preiswerteste Energiequelle ist dabei das Sparen. Bei Gebäuden, in industriellen Prozessen und im Verkehr etwa gibt es noch jede Menge wirtschaftlich nutzbarer Potenziale. Eine längere Laufzeit der Kernkraftwerke und der Bau von relativ sauberen, hocheffizienten neuen Kohlekraftwerken würden die Versorgungssicherheit halbwegs umweltverträglich garantieren, bis regenerative Energien verlässlich, bezahlbar und im ausreichenden Maß zur Verfügung stehen. Weizsäckers Warnung fällt deutlich aus: „Wir können in Deutschland nicht alles auf eine Karte setzen und uns aus der Kohle- und Kernenergie zurückziehen. Das ist völlig unsinnig.“
Quelle: www.wiwo.de/technik/...nsinn-mit-erneuerbaren-energien-272678/