GröWaZ?
Liebe Leserinnen und Leser,
es bleibt alles, wie es ist. Die Menschen neigen einfach dazu, sich einnebeln zu lassen und scharenweise wie Lemminge von einer Katastrophe in die nächste zu marschieren. Wobei Lerneffekte nicht zu bestreiten sind, ich bitte Sie! Nein, die Menschen haben gelernt, noch schneller zu vergessen, dass Herdplatten heiß sind. Und die Banken haben gelernt, dass das Zocken mit dem Geld anderer Leute (GaL) keine Konsequenzen hat. Wenn es in die Hose geht, zahlen im Endeffekt diejenigen, die gerade ihr Geld verloren haben, noch einmal – um zu verhindern, dass das Geld der Banken dahin ist, während der Großteil ihres eigenen Geldes dennoch futsch ist. Und solange es gut geht, füllt man sich bei der einen oder anderen Bank fröhlich die Taschen.
Wir haben jetzt den Punkt erreicht, in der man als Autor bereits im Vorfeld den Kopf einzieht wenn man wagt, die große Wende der Wirtschaft hin zu neuen, goldenen Zeiten anzuzweifeln. Ich für meinen Teil halte den Kopf sogar gleich unter der Tischplatte. Denn ich zweifle nicht die große Wende an. Ich behaupte, dass es nicht einmal eine kleine Wende wird, sondern ein erneutes Abgleiten in eine wirtschaftliche Krise. Und das, obwohl doch nun offenbar allgemein bekannt ist, dass alle Risiken mannhaft überwunden sind (wie das geschah, erklärt man uns nicht, aber dafür sind wir ja auch zu dämlich) und jetzt die Zeit gekommen ist, endlich den teilweise wochenlangen Konsumverzicht aus 2008 auszugleichen. Sofern man noch einen Job hat oder nicht gerade kurz arbeitet. Da aber könnte man ja einen Kredit aufnehmen, um dennoch zu konsumieren. Man täte es ja nicht für sich. Man täte es für die Konjunktur. Dumm nur, dass man dann keinen Kredit bekommt.
Der Begriff „GröFaZ“ wurde früher mal scherzhaft für jemanden verwendet, der die Welt in einer der größten Katastrophen überhaupt „geführt“ hatte. „GröWaZ“ steht für die „größte Wende aller Zeiten“. Denn die müsste es schon werden, wenn die Vorschusslorbeeren, die nun in den Kursen der Börsen enthalten sind, auch eingelöst werden sollten. Aber ich kann nicht entdecken, dass hinter der GröWaZ mehr steckt als hinter dem „GröFaz“ von früher.
Gerade wurde gemeldet, dass im 3. Quartal 2009 in den USA 938.000 Eigenheime in die Zwangsvollstreckung übergegangen sind. Das ist eines von 136 Häusern. Na ja, mag man sagen, das ist doch nicht gravierend. Stimmt ... wenn es sich um den Bestand an Zwangsvollstreckungen handelt. So werden die Daten teilweise auch kolportiert. Aber man sollte richtig lesen: Das sind nur die Häuser, die zwischen Juli und September NEU in die Zwangsvollstreckung gingen. Übrigens ein Anstieg um 23% gegenüber dem Vorjahresquartal und ein Anstieg um 5% gegenüber dem 2. Quartal 2009. Inklusive 2008 dürfte es bis zum Jahresende dazu kommen, dass insgesamt 4,5% aller US-Eigenheime in die Zwangsvollstreckung gingen oder gerade gehen. Nicht eingerechnet natürlich die größere Zahl, die momentan auf der Kippe steht, weil die Hypothekenzahlungen im Verzug sind.
Aber immerhin ... das belebt den Immobilienmarkt. Denn dadurch steigt die Zahl der umgesetzten gebrauchten Eigenheime. Dumm nur, dass das absolut keine Indikation für eine Wende ist! Neubauten, Baugenehmigungen, keine Frage. Aber gebrauchte Häuser? Da zählt nur der Preis als Indikation. Und der steigt nicht weiter. Und das vor allem, weil der Anstieg der Umsätze zum einen durch die vielen Zwangsvollstreckungen und zum anderen durch die Hauskauf-Prämie via Steuergutschrift in Höhe von 8.000 Dollar angefeuert wird, die in den USA als Konjunkturstütze gewährt wird. Es gibt also Schnäppchen ... und dazu dann noch was umsonst. Genauso wie die weltweiten Abwrackprämien werden so Leute dazu gebracht, sich doch ein Haus zu kaufen (meist dummerweise im Niedrigpreis-Segment und dennoch auf Pump), die es sich eigentlich nicht leisten können. Tja – hatten wir das nicht schon mal? Was führte doch gleich zum Zusammenbruch des Immobilienmarkts? Ja, man vergisst schnell.
Das mit den steigenden Zwangsvollstreckungen, so heißt es, ist vor allem der steigenden Zahl an Arbeitslosen geschuldet. Ach so. Na dann macht es nicht, nicht wahr? Denn die Analysten erklären uns ja, dass die Arbeitslosenzahlen ein „lagging indicator“ sind, ein nachlaufender Indikator. Die Konjunktur dreht viel früher als die Arbeitslosenzahlen. Gut, dass niemand fragt, wie das möglich ist. Das ist nämlich nur dann möglich, wenn die Industrie und der Dienstleistungsbereich bereits längstens wieder deutlich zunehmende Aufträge einfährt, die aber zuerst mit dem bestehenden Personalbestand via Überstunden bewältigt werden und die neuen Arbeitnehmer erst eingestellt werden, wenn sich die Lage sicher stabilisiert hat. Das passiert vor allem, wenn die Aufträge aus dem Ausland wieder anziehen oder die Nachfrage künstlich stimuliert wird. Dann muss danach aber der Übergang von künstlicher in echte Bachfrage hinhauen. Ein sensibler Bereich, der z.B. Anfang der 80er Jahre voll in die Hose ging. Und da stand es mit den Finanzen weniger schlimm. Und wir hatten nicht gleich mehrere Krisen auf einmal. Denn auch, wenn die Subprime-Krise in der Öffentlichkeit vorbei ist, weil niemand mehr darüber redet: Den ganzen Müll gibt es noch. Er liegt nur sorgsam kaschiert unter dem Teppich ... und weicht gerade das gesamte Fundament der Wende auf.
Aber wir haben ja Wachstum – was also soll schon passieren. Dass genau dies der Fall ist, wird schließlich permanent mit Zahlen untermauert. So z.B. mit dem Anstieg des Einzelhandelsumsatzes im September in den USA. Ganze 0,5% explodierten die Umsätze nach oben. Wenn man die Kfz-Umsätze herausrechnet, denn die brachen sofort wieder auf altes Niveau ein, als die US-Variante der Abwrackprämie Ende August auslief. Und die Auftragseingänge für die Industrie (für August, die für September liegen noch nicht vor) fielen nur um 0,8%.
Gut, heute kam dafür der Konjunkturindex der Region New York (New York Empire State Index), der für Oktober plötzlich mit 34,57 so hoch steht wie seit mehreren Jahren nicht mehr. Ausschlaggebend war hierfür vor allem ein extremer Anstieg der Auslieferungen. Und das wiederum ist eine Konsequenz der seit Monaten stark heruntergefahrenen Lagerbestände. Aber das heißt noch nicht, dass diese Auslieferungen auch wirklich abgesetzt werden. Und:
Während der Index aus New York die Erwartungen sprengte, fiel der genau gleich strukturierte Index der Region Philadelphia (Philly Fed-Index) unter Vormonatsniveau und unter die Erwartungen. Der eine wurde heute um 14:30 Uhr veröffentlicht, der andere soeben um 16:00 Uhr. Was uns nur eines lehrt: einzelne Zahlen sagen nichts aus – man muss sich einen längeren Zeitraum ansehen und dazu noch genau hinsehen und bereits sein, einzelne Aspekte zu hinterfragen. Bislang gilt in meinen Augen:
Trotz all dieser Stützungen kommt bis jetzt nicht wirklich etwas, das überzeugen könnte. Aber in den Medien wird eben diese Wende bereits seit Monaten gefeiert. Und an den Börsen auch. Und DAS ist doch ein Beleg, wie er klarer nicht sein könnte, wird dem skeptischen Bürger allenthalben mitgeteilt. Wie heiß es früher: „Millionen Fliegen können nicht irren ...?“ Mittlerweile ist ein Punkt erreicht, an dem man sich in der Öffentlichkeit wirklich hinstellen kann und behaupten, dass die haussierenden Aktienmärkte der BEWEIS seien, dass die Konjunktur sich erholt und die Rezession vorüber sei, ohne mit altem Obst beworfen zu werden. Im Gegenteil, wer heute den natürlich großen Hoffnungen der
Menschen, die ja bewusst auch immer weiter geschürt werden, nach dem Munde spricht, wird wie ein Held gefeiert. Die faulen Tomaten kriegen diejenigen ab, die warnen. Warnungen sind unbeliebt. Und gerade das ist ein Hinweis darauf, dass die „Mauer der Angst“, an der die Börsen sich ansonsten nach einer Rezession emporziehen, nicht existiert.
Niemand scheint öffentlich zu fragen, wie es möglich sein soll, die Börsen noch höher zu bekommen. Jetzt, nachdem deren Anstieg in den achten Monat geht und verbunden mit der Größenordnung des Anstiegs alle Rekorde bricht. Während zugleich laut aktuellen Umfragen, z.B. von Merrill Lynch, die Privatanleger, die wirklich an diese GröWaZ glauben, bereits seit Monaten investiert sind und die US-Fonds den niedrigsten Barbestand seit fünf Jahren haben. Übrigens wurde bei beiden Aspekten kürzlich noch das genaue Gegenteil behauptet und ich mal wieder als „Permabär“ eingestuft, weil ich schrieb, dass die meisten Anleger längst drin sind und die Fonds kein freies Kapital mehr haben. Nun ist es bestätigt. Aber es macht nichts. Nicht bei einer GröWaZ!
Denn schließlich findet sich immer irgend ein Spruch, den man nicht belegen muss, um die Argumentation weiter steigender Börsen zu untermauern, wenn einem sonst sämtliche Argumente abhanden kommen. Das ist aktuell die weltumspannende, gigantische Liquidität. Was es mir jener in meinen Augen auf sich hat, habe ich in den vergangenen Monaten immer wieder geschrieben, daher will ich Sie damit nicht schon wieder ermüden. Kurz: Natürlich gibt es sie. Wenn man Geldmarktkonten als Liquidität einstuft. Aber dass diese Konten geräumt würden, wird immer wieder propagiert und passiert ist es noch nie. Auch nicht Ende 2007, als der Dax auf 10.000 steigen sollte. Was er aber frecherweise nicht tat.
Nein, Liquidität haben die US-Großbanken und diverse europäische Pendants, gesponsert durch Regierungen und Notenbanken. Dieses Spielgeld, eigentlich vor allem für die Sicherung der Liquidität und die Stimulierung des Kreditgeschäfts gedacht, wird fröhlich in den Aktienmarkt gepumpt. Weil, wie oben erwähnt, den Banken ja nichts passieren kann. Geht’s daneben, gibt’s einen Bailout; haut es hin, verdient man sich ein wenig etwas dazu. Wer hier nun einwendet, dass das doch nicht möglich sei, dem sei mitgeteilt: Gerade wurde bekannt, dass die Gehälter in den US-Großbanken in 2009 einen neuen Rekord erreichen werden. Jaja, man lebt dort von der Hand in den Mund, im Sinne der Kunden. Oder war es doch von der Hand in der Tasche des Staates in die eigene? Immerhin ...
... während das Kreditgeschäft weiter Verluste produziert, die in Kürze durch Kreditausfälle im Privatsektor und bei Gewerbeimmobilien wieder an Schwung gewinnen werden, liegen die ersten gemeldeten Gewinne pro Aktie der Gutmenschen-Banken Goldman Sachs und J.P. Morgan beeindruckend über den Prognosen. Bei J.P. bei 0,82 USD statt der erwarteten 0,49 USD. Bei Goldman Sachs bei 5,25 USD statt der erwarteten 4,24 USD. Und diese Erwartungen wurden sogar noch in den letzten Tagen angehoben. Hahaaa ... woher wohl die Kohle kommt?
Na, von Ihnen, liebe Bürger. Staatsgeld wandert in Bank ... Bank zockt am Aktienmarkt ... Bank verdient, Bürger schaut sparsam aus der Wäsche und darf sich auf Mehrwertsteuer-Erhöhungen freuen. Ein tadelloses Spielchen. Und jawoll, ich erinnere daran: Das soll also der Beleg sein, dass die Konjunktur wieder zu Wachstum dreht! Auch ohne Konsumenten. Die braucht man nicht, hörte ich letztlich auf CNBC. Wozu müssen irgendwelche Leute Sachen kaufen, die vorher produziert werden müssen. Braucht man nicht. Auch, wenn zwei Drittel des US-Bruttoinlandsprodukts vom Konsum kommen. Man hat ja die Exporte, gestärkt durch den „zufällig“ fallenden Dollar. Und wenn schon nicht in den USA, so wird doch hierzulande ja auch brav gekauft. Meist auf Pump. Oder unter Schwächung der Ersparnisse. Und renoviert, neu gebaut, umgebaut. Ein Beispiel: Während die Stadträte meiner Nachbarstadt eine sofortige Haushaltssperre wegen wegbrechender Steuereinnahmen
fordern, hat meine Heimatstadt sich entscheiden, eine „antizyklische Haushaltspolitik“ zu verfolgen. Und darauf sind die auch noch stolz. Weniger Geld rein, dafür mehr Geld ausgeben. Sie müssten sich hier mal umsehen, Ihnen würde der Draht aus der Mütze springen, was überall verputzt, gemauert, gestrichen und gebuddelt wird.
Hat das jemals funktioniert? Ja, wenn diese Stimuli dann kommen, wenn der Abstieg seine Dynamik verloren hat. Aber noch nie in ein fallendes Messer und ohne die zugrunde liegenden Probleme zu lösen. Aber die Menschen hören einfach niemals auf zu glauben, dass diesmal alles anders sei. So wie einst 2000, als eine neue Zeit anbrach. Dass es die Zeit der verbrannten Vermögen werden würde, kapierten viele erst, als es zu spät war.
Heute wackelt der Schwanz mit dem Hund, indem uns vorgegaukelt wird, ein Dow Jones über 10.000 sei der Beweis, dass die Konjunktur wieder anzieht. Heute werden wir für dumm verkauft, indem man uns erzählt, dass das in der Tat mit Wachstum versehene dritte Quartal ein Beleg dafür sei, dass es genau so weitergehe, obwohl wenig dafür und vieles dagegen spricht. Und niemand macht sich darüber Gedanken, dass das ganze Geld, das in die Aktienmärkte fließt, Gratisgeld auf Pump ist, für das eben diese Aktien als Sicherheit dienen. Die Börsenkurse balancieren gerade auf dem Dachfirst eines Kartenhauses. Es muss nur eine dieser großen Adressen anfangen, ihre Positionen zu reduzieren. Bei den immer weiter fallenden Umsätzen (was übriges nicht bullish ist) reicht das aus, um dieses Kartenhaus zusammenbrechen zu lassen, das genauso aufgebaut ist wie die Immobilienblase. Denn
wenn der Wert der Sicherheiten schwindet, brennt die Heide. Und selbst, wenn die Notenbanken dann einfach auf Sicherheiten verzichten: Wenn denen, die sich momentan einfach blenden lassen wollen, erst einmal die rosa Brille von der Nase geschlagen wurde, entsteht ein Kaskadeneffekt, den niemand aufhalten kann.
All diese Symbole der Wende sind aus Pappe. Sie werden schon beim kleinsten Nieselregen weich. Und denen, die nun sagen: Na und? Wir bleiben halt einfach so lange Long, wie es raufgeht und können dann immer noch drehen, sei gesagt:
So einfach ist das nicht. Es ist erst auf einem viel, viel tieferen Niveau erkennbar, ob aus einem der vielen scharfen, aber kurzen Rücksetzer auf einmal mehr wird. Und wer nun gelernt hat, in Rücksetzer zuzukaufen, weil nach unten scheinbar keine Risiken existieren, der wird das auch dann tun ... anstatt die Positionen zu drehen. Und später erst recht zukaufen, um vor sich selbst zu kaschieren, dass er sich geirrt hat. Ich habe jetzt so viele solcher Situationen mitgemacht, dass ich behaupte, beurteilen zu können, dass dieses Verhalten die Regel ist. Und ... denken Sie an 2000! Oder die Rohöl-Blase. Haben SIE damals sofort und im richtigen Moment das Richtige getan? Ja? Na, dann wird Ihnen nichts passieren. Dann schreibe ich dies hier nur für die „anderen“.
Mit den besten Grüßen
Ihr Ronald Gehrt
(www.system22.de)
Bubbles are normal and non-bubble times are depressions!