Die letzte Oase des Kaufrauschs
Deutschland in der Konsumflaute? Von wegen. Der Erfolg von Saturn und Media Markt belegt: Die Deutschen sind in Wahrheit große Shopper. Sie müssen nur verführt werden, wie das die Metro-Töchter tun.
von Stephan Bauer
Hier wird gepirscht und gespäht. Familienväter streifen wie Jäger und Sammler durch die CD-Regalreihen des Saturn Theresienhöhe in München. Der Nachwuchs tummelt sich derweil vor der Bühne im hinteren Teil des Verkaufsraums. Eine Popband animiert die Jugend vor blauen Werbebannern. Die Saturn-Werbemaschine läuft auf Hochtouren: "Geile Zeit mit geilen Preisen" heißt der Claim. Fast täglich gibt es hier Animation. Die Kleinen klatschen, Papa kauft die CD und noch ein paar mehr - zum Dauerniedrigpreis.Kaum zu glauben: Millionen von Deutschen tun es - sie kaufen. Nicht nur auf Münchens Theresienhöhe und in den anderen 104 Saturn-Filialen in Deutschland. Auch in den 203 Media Märkten der Republik. Der knallrote "Ich bin doch nicht blöd"-Media-Markt ist die große Schwester des blauen "Geiz ist geil"-Saturn. Sie sind nach Marktanteilen die Nummer 1 und 2 im deutschen Elektronik-Einzelhandel.
In der Öffentlichkeit bekriegen sie sich mit grellbunter Werbung. Pro Monat flattern über 20 Millionen Werbeblätter in die Briefkasten deutscher Haushalte. In Wirklichkeit arbeiten die Unternehmen unter einem Dach, dem der Media-Saturn-Holding in Ingolstadt. Und die wiederum ist die wachstumsstärkste Sparte des Kölner Handelsriesen Metro.
Im Media Markt oder Saturn kleckert der Konsument nicht. Hier klotzt er. "Kaufen! Marsch, marsch", brüllt Media Markt, und aus dem deutschen Angstsparer wird ein Urmensch, der sich die Beute packt. Graue Theorie bleiben in der bunten Media-Saturn-Welt die Zahlen des Hauptverbands des deutschen Einzelhandels: Für 2004 weisen diese 0,5 Prozent Umsatzplus und Stagnation im Elektronik-Einzelhandel aus. Die Ingolstädter hingegen schafften 13 Prozent Zuwachs. Rechnet man die anderen zehn Länder hinzu, in denen sie vertreten sind, ergibt sich sogar ein Plus von 16 Prozent.
In 15 Jahren das Geschäft verfünfzehnfachen? Medianer und Saturnis - so nennen sich die über 30000 Mitarbeiter der Ketten - haben das geschafft. Wie, das steht Wort für Wort in der Firmenbibel "Das Geheimnis unseres Erfolges". Das Opus steckt hinter goldenem Schloß im signalroten Stoffschuber. Utho Creusen, einer der Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, hält es in Händen. "Sie dürfen gern einmal einen Blick darauf werfen", sagt Creusen. Die Betonung liegt auf "darauf". Nur wer mindestens geschäftsführender Gesellschafter ist, wie die Ingolstädter ihre 517 Filialleiter nennen, darf die Bibel lesen.
Ein milliardenträchtiger Bibelspruch: "Der Mensch steht im Mittelpunkt. Das verpflichtet uns, den Wünschen und Bedürfnissen unserer Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter soweit wie möglich gerecht zu werden." Das stammt von Leopold Stiefel, dem Gründer des Unternehmens. Stiefel eröffnete 1979 mit Erich Kellerhals und Walter Gunz den ersten Media Markt in einem Münchner Gewerbegebiet. 1988 stieg die Kaufhof AG ein, die später von der Metro übernommen wurde. Gunz, Autor des in der Bibel aufgegangenen "Handbuch Werbung", prägte schon früh den Hauruck-Werbestil. Das Konzept, auf großer Fläche am Stadtrand eine Riesenauswahl zu Niedrigpreisen anzubieten, schlug ein wie die berühmte Bombe. Bis dahin hatten Kunden ihre Waschmaschinen und Fernseher bei Fachhändlern gekauft, die meist nur ein eingeschränktes Angebot führten.
Die Klientel haben die Medianer immer noch bestens im Griff. "Wir geben Kunden die Sicherheit, daß sie im Media Markt ihrer Region den günstigsten Preis bekommen", sagt Creusen (siehe Interview Seite 14). Ganz klar: Billig war von Anfang an der Kern des Erfolgs. Daß Stiefel und Co damit weit in die Zukunft blickten, bestätigt Wolfgang Twardawa, Experte bei der Gesellschaft für Konsumforschung: "Entweder billig oder edel und exzellenter Service. Das sind heute die Trends im Einzelhandel."
Ein genialer Kniff: Die Bayern bieten eine Tiefpreisgarantie. Sollte der Kunde nach dem Einkauf feststellen, daß er das Produkt bei einem Händler in der Region günstiger erhalten hätte, bekommt er die Differenz ausbezahlt. Wegen der Garantie und dem breiten Sortiment gehen viele Kunden aber erst gar nicht zur Konkurrenz. Wettbewerbern nimmt das Versprechen jeden Mut, die rote Übermacht zu unterbieten: "Preiskampf zwecklos, wir ziehen sofort gleich", droht die Tiefpreis-Waffe.
Noch ein Trick: Die Läden werden alle weitgehend selbständig von ihren Filialleitern gemanagt. Die "geschäftsführenden Gesellschafter" sind mit jeweils zehn Prozent am Gewinn beteiligt. Sie reagieren entsprechend flexibel auf die regionale Konkurrenz. Ihre Bestellungen allerdings senden sie an die Zentrale. Und die wiederum kauft in solchen Massen ein, daß Lieferanten vor schierer Marktmacht schlicht die Luft wegbleibt. "Bei Media-Saturn werden vom Hersteller aggressivere Preise verlangt", beschreibt Martin Böttner seine Erfahrungen mit dem Ingolstädter Einkauf. Böttner, zuständig für das Deutschland-Geschäft des koreanischen Herstellers von Unterhaltungselektronik, Tatung, ist seit April Lieferant der Bayern.Heraus kommen Konditionen, bei denen die Konkurrenz in dieKnie geht. Selbst Oli-ver Haubrich, Chef des größten Media-Saturn-Konkurrenten, der Einkaufsgemeinschaft Electronic Partner, zieht vor dem Modell den Hut: "Stiefel ist ein Jahrhunderttalent." Und ewig trommelt die Werbung. Ob die silbergewandete Domina von Saturn oder Media-Markt-Promi Oliver Pocher: Die rund 500 Millionen Euro Werbekosten pro Jahr, die das Unternehmen zum größten Werbetreibenden des Landes machen, sind gut angelegt. 98 Prozent der Deutschen kennen Media Markt, rund drei Viertel kaufen auch dort ein.
Inzwischen macht die rot-blaue Handelslawine auch im Ausland alles platt. 42 Prozent des Umsatzes von zuletzt 12,2 Milliarden Euro machen die Bayern außerhalb Deutschlands, Tendenz steigend. "Unser Geschäftsmodell ist prinzipiell grenzenlos multiplizierbar", sagt Creusen. Nach einem Markteintritt will man stets in drei bis fünf Jahren die Nummer 1 sein.
Osteuropa ist als nächstes dran. In Polen gibt es bereits 26 Märkte. Vergangenes Jahr prügelten sich in Lodz 3000 Menschen durch eine Hundertschaft Polizisten in die neue Filiale. Jetzt analysieren die Bayern Rußland und Tschechien.
Unterstützung für die internationale Expansion liefert Mutter Metro. Die Kölner sind in Osteuropa schon dick im Geschäft. Informationen über geplante Einkaufszentren und die Drähte zu den örtlichen Behörden geben sie nach Ingolstadt weiter. So expandieren Media Märkte Hand in Hand mit den Makro-Märkten und Praktiker-Filialen des Konzerns.
Am 2. August präsentiert Mutter Metro die Zahlen für das zweite Quartal. Eines ist fast sicher: Die Medianer und Saturnis werden bei Umsatz und Gewinn mal wieder zweistellig gegenüber dem Vorjahr gewachsen sein. Billig klingt zwar blöd - aber es ist äußerst profitabel. «
"Expansion fällt uns leicht"
Media-Saturn-Geschäftsführer Utho Creusen über das Prinzip Billig, die besten Tricks für die Motivation der Mitarbeiter und die Grenzen des weltweiten Wachstums.
Euro am Sonntag: Der Handel in Deutschland stagniert. Media-Saturn aber wächst zweistellig. Wie geht das zusammen?
Utho Creusen: Die Menschen sparen, weil sie verunsichert sind. Aber es ist doch nicht so, daß sie kein Geld hätten. Wenn Sie die richtigen Produkte zum richtigen Preis anbieten, rennen Ihnen Kunden die Bude ein.
Euro: Aber ausgerechnet Ihr Werbeslogan "Geiz ist geil!" wurde zum Synonym für die Kaufunlust ...
Creusen: Das haben vielleicht manche falsch verstanden. Die Mehrheit der Konsumenten aber nicht: "Geiz ist geil!" bedeutet clever einzukaufen und nicht zu Hause zu bleiben.
Euro: Ohne "Kaufen! Marsch"-Werbung bleiben auch Ihre Läden leer?
Creusen: Unsere Werbung hat in der Tat die Aufgabe, eine Grundfrequenz in unseren Märkten zu erzeugen. Dies gelingt uns sehr nachhaltig. Wir konzentrieren uns hierbei auf Produkt und Preis - nicht mehr. Kunden sind enttäuscht, wenn sie hohe Erwartungen haben und diese im Markt nicht erfüllt werden. Deshalb halten wir die Erwartungen in der Werbung auf einem realistischen Niveau. Das funktioniert, die Zufriedenheit unserer Kunden ist sehr hoch.
Euro: Also keine Chance, daß die "Blöd"- und "Geil"-Masche durch anspruchsvollere Slogans abgelöst wird?
Creusen: Der Preis wird im Zentrum unserer Werbeaussage bleiben.
Euro: Die Media-Saturn-Gruppe ist der Elektronikhändler Nummer 1 in Europa. Wo geht´s denn noch hin?
Creusen: Wir wollen weiterwachsen. Wir sehen in Deutschland, aber vor allem auch international noch erhebliche Wachstums-Chancen.
Euro: Können Sie sich den Sprung in die USA oder nach China vorstellen - oder hat Ihre Expansion Grenzen?
Creusen: Unser Geschäftsmodell ist prinzipiell grenzenlos multiplizierbar. Es wäre etwa auch in den USA denkbar. Sie sehen dort ein ähnliches Modell bei Best Buy. Auch in China gibt es vergleichbare Modelle. Doch weder über einen Einstieg in den einen noch in den anderen Markt machen wir uns gegenwärtig Gedanken.
Euro: In Polen und Ungarn sind Sie bereits präsent. Wann folgen Tschechien oder Rußland?
Creusen: Rußland ist sicher ein interessanter Markt. Wir analysieren ihn wie einige andere Länder auch, beispielsweise Tschechien. Beide Länder sind jedoch kein Thema für 2005.
Euro: Ziel Nummer 1 der Welt?
Creusen: Grundsätzlich wollen wir in jedem Markt in einem Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren die Nummer 1 werden. Das ist nicht überall ohne weiteres machbar, aber das ist unsere Zielsetzung. Nach Belgien gingen wir im November 2002. Inzwischen sind wir knapp davor, die Nummer 1 zu werden. Mit dem gleichen Anspruch sind wir 2004 nach Portugal gegangen. Und mit diesem Anspruch eröffnen wir Ende des Jahres den ersten Markt in Griechenland. Wenn Sie das logisch zu Ende denken, dann könnte man vielleicht ein solches Ziel formulieren. Das tun wir aber nicht. Wir wollen gute Arbeit abliefern und die Kunden zufriedenstellen.
EURO: Das Geheimnis des Erfolgs?
Creusen: Das Geschäftsmodell ist schlicht genial. Und es läßt sich hervorragend multiplizieren. Die Expansion fällt uns damit leicht.
Euro: Heißt genial einfach?
Creusen: Das Modell besteht in der Tat aus wenigen Erfolgsfaktoren: Da ist zunächst der Preis. Wir bieten Dauerniedrigpreise an und eine sogenannte Tiefpreisgarantie. Das heißt, daß wir nicht mit einzelnen Produkten in Rabattschlachten ziehen, sondern Kunden die dauerhafte Sicherheit geben, daß sie im Media Markt ihrer Region den günstigsten Preis über das gesamte Sortiment erhalten.
Euro: Verbraucherschützer bestreiten, daß dies immer der Fall ist ...
Creusen: Wir realisieren das zu 99,9 Prozent. Natürlich gibt es Reaktionszeiten. Hin und wieder hat ein Markt nicht sofort mitbekommen, daß der Wettbewerber gerade einen Artikel runtergezeichnet hat. Dies ist gewiß nicht optimal. Bei rund 45000 Artikeln, die die Märkte im Schnitt führen, aber vielleicht verzeihbar.
Euro: Wie machen Sie Gewinne?
Creusen: Wir können bei Artikeln, bei denen der Preiswettbewerb nicht so groß ist, durchaus eine höhere Marge haben. Das ist aber kein Widerspruch zur Tiefpreisgarantie.
EURO: Also ist das Erfolgsgeheimnis doch nicht bloß "billig".
Creusen: Wir sind kein Discounter. Unser Anspruch ist, daß wir in jeder Produktkategorie immer das breiteste Angebot haben. Ein Discounter hat zwar auch den günstigsten Preis, er hat aber nicht das breiteste Sortiment am Ort. Zudem führen wir zu einem hohen Prozentsatz Markenprodukte.
EURO: Wenn jemand Media Markt unterbietet, ziehen Sie wegen der Tiefpreisgarantie automatisch nach. Ist das nicht in Wahrheit ein Mittel, um Preiskämpfe zu verhindern?
Creusen: Der Preiskampf im Markt spricht deutlich für das Gegenteil. Gut für uns ist allerdings, daß wir - auch mit Hilfe unserer Tiefpreisgarantie - regelmäßig die Nase vorn haben.
Euro: Wie bringen Sie denn Ihre Mitarbeiter Tag für Tag zum Lächeln?
Creusen: Die Motivation der Mitarbeiter zu steigern ist uns sehr wichtig. Das hat bei uns viele Facetten, bis hin zur zehnprozentigen Beteiligung unserer Marktgeschäftsführer an ihrem Markt und damit auch am Ergebnis ihres Geschäfts. Daß es funktioniert, zeigen Tests: 43 Prozent unserer Beschäftigten sind nach einer anerkannten Testmethode hochengagiert. Im Schnitt sind dies in deutschen Unternehmen nur 13 Prozent.
EURO: Wie erreichen Sie das?
Creusen: Menschen können nur dann Spitzenleistungen bringen, wenn sie bei ihrer Arbeit glücklich sind, im Zustand des Flow arbeiten. Flow hat man etwa dann, wenn die Zeit wie im Fluge vergeht. Den Flow unserer Mitarbeiter, ihr Engagement, testen wir einmal im Jahr mit einer Umfrage. Zudem erreicht man Engagement, wenn man die Menschen im Bereich ihrer Stärken arbeiten läßt. Wie ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn du nicht lächeln kannst, solltest du keinen Laden aufmachen.
EURO: Wie finden Sie heraus, ob Sie Ihre Leute optimal einsetzen?
Creusen: Mit Hilfe eines psychologischen Analyse-Instruments namens "StrengthsFinder".
EURO: Machen da alle freiwillig mit?
Creusen: Die Umfragen sind freiwillig und anonym. Rund 80 Prozent unserer Mitarbeiter nehmen daran teil. Beim StrengthsFinder verhält es sich so: StrengthCoaches geben den Mitarbeitern Feedback. Diese Informationen gehen nicht an Vorgesetzte. Es sei denn, der Mitarbeiter will das und will die Ergebnisse dazu nutzen, sich in seinen Talenten zu entwickeln.Euro: Was findet der Test heraus?Creusen: Bei mir zum Beispiel, daß ich ein "Learner" bin, sehr große Neugierde habe. Routinen meide ich soweit es geht, um gut zu sein in meinem Job.
EURO: Sie haben aber deutlich mehr Freiraum als ein Verkäufer ...
Creusen: Das ist richtig. Dennoch: Wir geben allen unseren Mitarbeitern sehr große Freiheiten. Das fängt beim Marktgeschäftsführer an. Er arbei-tet wie ein selbständiger Ladenbesitzer und bestimmt über Einkauf, Werbung, Preispolitik und Personal.
EURO: Und hat sicher klare Umsatz- und Renditeziele ...
Creusen: Tatsächlich hat er nur sehr wenige Vorgaben: Er muß die Tiefpreisgarantie und das breiteste Sortiment in seiner Region sicherstellen. Er muß sein Personal motivieren und sein Geschäft weiterentwickeln. Aber er macht selbständig ein Budget - ohne Zielvorgabe.
EURO: Befürchten Ihre Filialleiter Umsatzeinbußen, falls die Mehrwertsteuer in Deutschland nach einer Neuwahl auf 18 Prozent erhöht werden sollte?
Creusen: Natürlich hat jede Steuererhöhung negative Auswirkungen auf das Konsumverhalten in Deutschland. Gerade eine Anhebung der Mehrwertsteuer würde der Verbraucher unmittelbar negativ in seinem Geldbeutel spüren. Eine Anhebung muß daher, auch um Umsatzeinbußen im Handel vorzubeugen, unbedingt durch entlastende Maßnahmen flankiert werden.
EURO: Vor der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr haben Sie Kunden, die an einem bestimmten Tag Fernseher kauften, im Falle eines deutschen Titelgewinns die Erstattung des Kaufpreises angeboten. Was kommt zur Weltmeisterschaft?
Creusen: Lassen Sie sich einfach überraschen. Sie können sicher sein, daß wir uns wieder witzige und aufmerksamkeitsstarke Aktionen einfallen lassen werden.
Interview: Stephan Bauer
Deutschland in der Konsumflaute? Von wegen. Der Erfolg von Saturn und Media Markt belegt: Die Deutschen sind in Wahrheit große Shopper. Sie müssen nur verführt werden, wie das die Metro-Töchter tun.
von Stephan Bauer
Hier wird gepirscht und gespäht. Familienväter streifen wie Jäger und Sammler durch die CD-Regalreihen des Saturn Theresienhöhe in München. Der Nachwuchs tummelt sich derweil vor der Bühne im hinteren Teil des Verkaufsraums. Eine Popband animiert die Jugend vor blauen Werbebannern. Die Saturn-Werbemaschine läuft auf Hochtouren: "Geile Zeit mit geilen Preisen" heißt der Claim. Fast täglich gibt es hier Animation. Die Kleinen klatschen, Papa kauft die CD und noch ein paar mehr - zum Dauerniedrigpreis.Kaum zu glauben: Millionen von Deutschen tun es - sie kaufen. Nicht nur auf Münchens Theresienhöhe und in den anderen 104 Saturn-Filialen in Deutschland. Auch in den 203 Media Märkten der Republik. Der knallrote "Ich bin doch nicht blöd"-Media-Markt ist die große Schwester des blauen "Geiz ist geil"-Saturn. Sie sind nach Marktanteilen die Nummer 1 und 2 im deutschen Elektronik-Einzelhandel.
In der Öffentlichkeit bekriegen sie sich mit grellbunter Werbung. Pro Monat flattern über 20 Millionen Werbeblätter in die Briefkasten deutscher Haushalte. In Wirklichkeit arbeiten die Unternehmen unter einem Dach, dem der Media-Saturn-Holding in Ingolstadt. Und die wiederum ist die wachstumsstärkste Sparte des Kölner Handelsriesen Metro.
Im Media Markt oder Saturn kleckert der Konsument nicht. Hier klotzt er. "Kaufen! Marsch, marsch", brüllt Media Markt, und aus dem deutschen Angstsparer wird ein Urmensch, der sich die Beute packt. Graue Theorie bleiben in der bunten Media-Saturn-Welt die Zahlen des Hauptverbands des deutschen Einzelhandels: Für 2004 weisen diese 0,5 Prozent Umsatzplus und Stagnation im Elektronik-Einzelhandel aus. Die Ingolstädter hingegen schafften 13 Prozent Zuwachs. Rechnet man die anderen zehn Länder hinzu, in denen sie vertreten sind, ergibt sich sogar ein Plus von 16 Prozent.
In 15 Jahren das Geschäft verfünfzehnfachen? Medianer und Saturnis - so nennen sich die über 30000 Mitarbeiter der Ketten - haben das geschafft. Wie, das steht Wort für Wort in der Firmenbibel "Das Geheimnis unseres Erfolges". Das Opus steckt hinter goldenem Schloß im signalroten Stoffschuber. Utho Creusen, einer der Geschäftsführer der Media-Saturn-Holding, hält es in Händen. "Sie dürfen gern einmal einen Blick darauf werfen", sagt Creusen. Die Betonung liegt auf "darauf". Nur wer mindestens geschäftsführender Gesellschafter ist, wie die Ingolstädter ihre 517 Filialleiter nennen, darf die Bibel lesen.
Ein milliardenträchtiger Bibelspruch: "Der Mensch steht im Mittelpunkt. Das verpflichtet uns, den Wünschen und Bedürfnissen unserer Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter soweit wie möglich gerecht zu werden." Das stammt von Leopold Stiefel, dem Gründer des Unternehmens. Stiefel eröffnete 1979 mit Erich Kellerhals und Walter Gunz den ersten Media Markt in einem Münchner Gewerbegebiet. 1988 stieg die Kaufhof AG ein, die später von der Metro übernommen wurde. Gunz, Autor des in der Bibel aufgegangenen "Handbuch Werbung", prägte schon früh den Hauruck-Werbestil. Das Konzept, auf großer Fläche am Stadtrand eine Riesenauswahl zu Niedrigpreisen anzubieten, schlug ein wie die berühmte Bombe. Bis dahin hatten Kunden ihre Waschmaschinen und Fernseher bei Fachhändlern gekauft, die meist nur ein eingeschränktes Angebot führten.
Die Klientel haben die Medianer immer noch bestens im Griff. "Wir geben Kunden die Sicherheit, daß sie im Media Markt ihrer Region den günstigsten Preis bekommen", sagt Creusen (siehe Interview Seite 14). Ganz klar: Billig war von Anfang an der Kern des Erfolgs. Daß Stiefel und Co damit weit in die Zukunft blickten, bestätigt Wolfgang Twardawa, Experte bei der Gesellschaft für Konsumforschung: "Entweder billig oder edel und exzellenter Service. Das sind heute die Trends im Einzelhandel."
Ein genialer Kniff: Die Bayern bieten eine Tiefpreisgarantie. Sollte der Kunde nach dem Einkauf feststellen, daß er das Produkt bei einem Händler in der Region günstiger erhalten hätte, bekommt er die Differenz ausbezahlt. Wegen der Garantie und dem breiten Sortiment gehen viele Kunden aber erst gar nicht zur Konkurrenz. Wettbewerbern nimmt das Versprechen jeden Mut, die rote Übermacht zu unterbieten: "Preiskampf zwecklos, wir ziehen sofort gleich", droht die Tiefpreis-Waffe.
Noch ein Trick: Die Läden werden alle weitgehend selbständig von ihren Filialleitern gemanagt. Die "geschäftsführenden Gesellschafter" sind mit jeweils zehn Prozent am Gewinn beteiligt. Sie reagieren entsprechend flexibel auf die regionale Konkurrenz. Ihre Bestellungen allerdings senden sie an die Zentrale. Und die wiederum kauft in solchen Massen ein, daß Lieferanten vor schierer Marktmacht schlicht die Luft wegbleibt. "Bei Media-Saturn werden vom Hersteller aggressivere Preise verlangt", beschreibt Martin Böttner seine Erfahrungen mit dem Ingolstädter Einkauf. Böttner, zuständig für das Deutschland-Geschäft des koreanischen Herstellers von Unterhaltungselektronik, Tatung, ist seit April Lieferant der Bayern.Heraus kommen Konditionen, bei denen die Konkurrenz in dieKnie geht. Selbst Oli-ver Haubrich, Chef des größten Media-Saturn-Konkurrenten, der Einkaufsgemeinschaft Electronic Partner, zieht vor dem Modell den Hut: "Stiefel ist ein Jahrhunderttalent." Und ewig trommelt die Werbung. Ob die silbergewandete Domina von Saturn oder Media-Markt-Promi Oliver Pocher: Die rund 500 Millionen Euro Werbekosten pro Jahr, die das Unternehmen zum größten Werbetreibenden des Landes machen, sind gut angelegt. 98 Prozent der Deutschen kennen Media Markt, rund drei Viertel kaufen auch dort ein.
Inzwischen macht die rot-blaue Handelslawine auch im Ausland alles platt. 42 Prozent des Umsatzes von zuletzt 12,2 Milliarden Euro machen die Bayern außerhalb Deutschlands, Tendenz steigend. "Unser Geschäftsmodell ist prinzipiell grenzenlos multiplizierbar", sagt Creusen. Nach einem Markteintritt will man stets in drei bis fünf Jahren die Nummer 1 sein.
Osteuropa ist als nächstes dran. In Polen gibt es bereits 26 Märkte. Vergangenes Jahr prügelten sich in Lodz 3000 Menschen durch eine Hundertschaft Polizisten in die neue Filiale. Jetzt analysieren die Bayern Rußland und Tschechien.
Unterstützung für die internationale Expansion liefert Mutter Metro. Die Kölner sind in Osteuropa schon dick im Geschäft. Informationen über geplante Einkaufszentren und die Drähte zu den örtlichen Behörden geben sie nach Ingolstadt weiter. So expandieren Media Märkte Hand in Hand mit den Makro-Märkten und Praktiker-Filialen des Konzerns.
Am 2. August präsentiert Mutter Metro die Zahlen für das zweite Quartal. Eines ist fast sicher: Die Medianer und Saturnis werden bei Umsatz und Gewinn mal wieder zweistellig gegenüber dem Vorjahr gewachsen sein. Billig klingt zwar blöd - aber es ist äußerst profitabel. «
"Expansion fällt uns leicht"
Media-Saturn-Geschäftsführer Utho Creusen über das Prinzip Billig, die besten Tricks für die Motivation der Mitarbeiter und die Grenzen des weltweiten Wachstums.
Euro am Sonntag: Der Handel in Deutschland stagniert. Media-Saturn aber wächst zweistellig. Wie geht das zusammen?
Utho Creusen: Die Menschen sparen, weil sie verunsichert sind. Aber es ist doch nicht so, daß sie kein Geld hätten. Wenn Sie die richtigen Produkte zum richtigen Preis anbieten, rennen Ihnen Kunden die Bude ein.
Euro: Aber ausgerechnet Ihr Werbeslogan "Geiz ist geil!" wurde zum Synonym für die Kaufunlust ...
Creusen: Das haben vielleicht manche falsch verstanden. Die Mehrheit der Konsumenten aber nicht: "Geiz ist geil!" bedeutet clever einzukaufen und nicht zu Hause zu bleiben.
Euro: Ohne "Kaufen! Marsch"-Werbung bleiben auch Ihre Läden leer?
Creusen: Unsere Werbung hat in der Tat die Aufgabe, eine Grundfrequenz in unseren Märkten zu erzeugen. Dies gelingt uns sehr nachhaltig. Wir konzentrieren uns hierbei auf Produkt und Preis - nicht mehr. Kunden sind enttäuscht, wenn sie hohe Erwartungen haben und diese im Markt nicht erfüllt werden. Deshalb halten wir die Erwartungen in der Werbung auf einem realistischen Niveau. Das funktioniert, die Zufriedenheit unserer Kunden ist sehr hoch.
Euro: Also keine Chance, daß die "Blöd"- und "Geil"-Masche durch anspruchsvollere Slogans abgelöst wird?
Creusen: Der Preis wird im Zentrum unserer Werbeaussage bleiben.
Euro: Die Media-Saturn-Gruppe ist der Elektronikhändler Nummer 1 in Europa. Wo geht´s denn noch hin?
Creusen: Wir wollen weiterwachsen. Wir sehen in Deutschland, aber vor allem auch international noch erhebliche Wachstums-Chancen.
Euro: Können Sie sich den Sprung in die USA oder nach China vorstellen - oder hat Ihre Expansion Grenzen?
Creusen: Unser Geschäftsmodell ist prinzipiell grenzenlos multiplizierbar. Es wäre etwa auch in den USA denkbar. Sie sehen dort ein ähnliches Modell bei Best Buy. Auch in China gibt es vergleichbare Modelle. Doch weder über einen Einstieg in den einen noch in den anderen Markt machen wir uns gegenwärtig Gedanken.
Euro: In Polen und Ungarn sind Sie bereits präsent. Wann folgen Tschechien oder Rußland?
Creusen: Rußland ist sicher ein interessanter Markt. Wir analysieren ihn wie einige andere Länder auch, beispielsweise Tschechien. Beide Länder sind jedoch kein Thema für 2005.
Euro: Ziel Nummer 1 der Welt?
Creusen: Grundsätzlich wollen wir in jedem Markt in einem Zeitrahmen von drei bis fünf Jahren die Nummer 1 werden. Das ist nicht überall ohne weiteres machbar, aber das ist unsere Zielsetzung. Nach Belgien gingen wir im November 2002. Inzwischen sind wir knapp davor, die Nummer 1 zu werden. Mit dem gleichen Anspruch sind wir 2004 nach Portugal gegangen. Und mit diesem Anspruch eröffnen wir Ende des Jahres den ersten Markt in Griechenland. Wenn Sie das logisch zu Ende denken, dann könnte man vielleicht ein solches Ziel formulieren. Das tun wir aber nicht. Wir wollen gute Arbeit abliefern und die Kunden zufriedenstellen.
EURO: Das Geheimnis des Erfolgs?
Creusen: Das Geschäftsmodell ist schlicht genial. Und es läßt sich hervorragend multiplizieren. Die Expansion fällt uns damit leicht.
Euro: Heißt genial einfach?
Creusen: Das Modell besteht in der Tat aus wenigen Erfolgsfaktoren: Da ist zunächst der Preis. Wir bieten Dauerniedrigpreise an und eine sogenannte Tiefpreisgarantie. Das heißt, daß wir nicht mit einzelnen Produkten in Rabattschlachten ziehen, sondern Kunden die dauerhafte Sicherheit geben, daß sie im Media Markt ihrer Region den günstigsten Preis über das gesamte Sortiment erhalten.
Euro: Verbraucherschützer bestreiten, daß dies immer der Fall ist ...
Creusen: Wir realisieren das zu 99,9 Prozent. Natürlich gibt es Reaktionszeiten. Hin und wieder hat ein Markt nicht sofort mitbekommen, daß der Wettbewerber gerade einen Artikel runtergezeichnet hat. Dies ist gewiß nicht optimal. Bei rund 45000 Artikeln, die die Märkte im Schnitt führen, aber vielleicht verzeihbar.
Euro: Wie machen Sie Gewinne?
Creusen: Wir können bei Artikeln, bei denen der Preiswettbewerb nicht so groß ist, durchaus eine höhere Marge haben. Das ist aber kein Widerspruch zur Tiefpreisgarantie.
EURO: Also ist das Erfolgsgeheimnis doch nicht bloß "billig".
Creusen: Wir sind kein Discounter. Unser Anspruch ist, daß wir in jeder Produktkategorie immer das breiteste Angebot haben. Ein Discounter hat zwar auch den günstigsten Preis, er hat aber nicht das breiteste Sortiment am Ort. Zudem führen wir zu einem hohen Prozentsatz Markenprodukte.
EURO: Wenn jemand Media Markt unterbietet, ziehen Sie wegen der Tiefpreisgarantie automatisch nach. Ist das nicht in Wahrheit ein Mittel, um Preiskämpfe zu verhindern?
Creusen: Der Preiskampf im Markt spricht deutlich für das Gegenteil. Gut für uns ist allerdings, daß wir - auch mit Hilfe unserer Tiefpreisgarantie - regelmäßig die Nase vorn haben.
Euro: Wie bringen Sie denn Ihre Mitarbeiter Tag für Tag zum Lächeln?
Creusen: Die Motivation der Mitarbeiter zu steigern ist uns sehr wichtig. Das hat bei uns viele Facetten, bis hin zur zehnprozentigen Beteiligung unserer Marktgeschäftsführer an ihrem Markt und damit auch am Ergebnis ihres Geschäfts. Daß es funktioniert, zeigen Tests: 43 Prozent unserer Beschäftigten sind nach einer anerkannten Testmethode hochengagiert. Im Schnitt sind dies in deutschen Unternehmen nur 13 Prozent.
EURO: Wie erreichen Sie das?
Creusen: Menschen können nur dann Spitzenleistungen bringen, wenn sie bei ihrer Arbeit glücklich sind, im Zustand des Flow arbeiten. Flow hat man etwa dann, wenn die Zeit wie im Fluge vergeht. Den Flow unserer Mitarbeiter, ihr Engagement, testen wir einmal im Jahr mit einer Umfrage. Zudem erreicht man Engagement, wenn man die Menschen im Bereich ihrer Stärken arbeiten läßt. Wie ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn du nicht lächeln kannst, solltest du keinen Laden aufmachen.
EURO: Wie finden Sie heraus, ob Sie Ihre Leute optimal einsetzen?
Creusen: Mit Hilfe eines psychologischen Analyse-Instruments namens "StrengthsFinder".
EURO: Machen da alle freiwillig mit?
Creusen: Die Umfragen sind freiwillig und anonym. Rund 80 Prozent unserer Mitarbeiter nehmen daran teil. Beim StrengthsFinder verhält es sich so: StrengthCoaches geben den Mitarbeitern Feedback. Diese Informationen gehen nicht an Vorgesetzte. Es sei denn, der Mitarbeiter will das und will die Ergebnisse dazu nutzen, sich in seinen Talenten zu entwickeln.Euro: Was findet der Test heraus?Creusen: Bei mir zum Beispiel, daß ich ein "Learner" bin, sehr große Neugierde habe. Routinen meide ich soweit es geht, um gut zu sein in meinem Job.
EURO: Sie haben aber deutlich mehr Freiraum als ein Verkäufer ...
Creusen: Das ist richtig. Dennoch: Wir geben allen unseren Mitarbeitern sehr große Freiheiten. Das fängt beim Marktgeschäftsführer an. Er arbei-tet wie ein selbständiger Ladenbesitzer und bestimmt über Einkauf, Werbung, Preispolitik und Personal.
EURO: Und hat sicher klare Umsatz- und Renditeziele ...
Creusen: Tatsächlich hat er nur sehr wenige Vorgaben: Er muß die Tiefpreisgarantie und das breiteste Sortiment in seiner Region sicherstellen. Er muß sein Personal motivieren und sein Geschäft weiterentwickeln. Aber er macht selbständig ein Budget - ohne Zielvorgabe.
EURO: Befürchten Ihre Filialleiter Umsatzeinbußen, falls die Mehrwertsteuer in Deutschland nach einer Neuwahl auf 18 Prozent erhöht werden sollte?
Creusen: Natürlich hat jede Steuererhöhung negative Auswirkungen auf das Konsumverhalten in Deutschland. Gerade eine Anhebung der Mehrwertsteuer würde der Verbraucher unmittelbar negativ in seinem Geldbeutel spüren. Eine Anhebung muß daher, auch um Umsatzeinbußen im Handel vorzubeugen, unbedingt durch entlastende Maßnahmen flankiert werden.
EURO: Vor der Fußball-Europameisterschaft im vergangenen Jahr haben Sie Kunden, die an einem bestimmten Tag Fernseher kauften, im Falle eines deutschen Titelgewinns die Erstattung des Kaufpreises angeboten. Was kommt zur Weltmeisterschaft?
Creusen: Lassen Sie sich einfach überraschen. Sie können sicher sein, daß wir uns wieder witzige und aufmerksamkeitsstarke Aktionen einfallen lassen werden.
Interview: Stephan Bauer
Gruß Moya