23.03.2004 14:51: INTERVIEW/DIB-Vorstand: Deutsche Biotechindustrie hat Liquiditätsprobleme
FRANKFURT (dpa-AFX) - Der deutschen Biotechindustrie geht das Geld aus. "Die angespannte Finanzierungssituation ist derzeit das zentrale Thema in der Branche und betrifft vor allem nicht börsennotierte Unternehmen", sagte Peter Stadler, Vorstand der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB), am Dienstag in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa-AFX. Stadler fordert deshalb von den Biotechfirmen, sich verstärkt auf eine Finanzierung aus der eigenen Geschäftstätigkeit zu konzentrieren.
"Geld von Venture Capital-Gesellschaften (VC) bekommen heute fast nur noch Biotech-Firmen, die auf Produktentwicklung setzen", sagt Stadler. Dies sei eine Entwicklung, die nicht nur in Deutschland, sondern überall in der EU und in den USA zu beobachten sei, so der Manager.
SCHWACHE LIQUIDIÄTSAUSSTTATUNG ALS WETTBEWERBSNACHTEIL
"Da die Entwicklung eines Medikaments mehrere 100 Millionen Dollar kostet und rund 10 Jahre dauert, ist dieses Geschäftsmodell für die meisten der deutschen Biotech-Unternehmen zu kostenintensiv und zu langwierig. "Bei 90 Prozent der Firmen lässt sich dieses Geschäftsmodell nicht finanzieren und der Erfolg ist damit höchst unsicher", meint Stadler, der gleichzeitig Vorsitzender der Biotech-Firma Artemis Pharmaceuticals ist.
Für Stadler ist die angespannte Liquiditätssituation ein großer Wettbewerbsnachteil für Europa und Deutschland mit Blick auf die USA: "In Europa verfügen wir derzeit nur über 16 Prozent der VC-Gelder, welche die US-Gesellschaften zur Verfügung haben", sagt Stadler. Damit gehe die Schere zwischen der noch relativ jungen Biotech-Branche in Deutschland und der in den USA immer weiter auf.
Die Förderung durch die öffentliche Hand findet fast ausschließlich in der Gründungsphase statt und auch an eine Finanzierung der Biotechs über Börsengänge sei derzeit eher nicht zu denken. "Erst wenn der NASDAQ Composite nachhaltig über die 2.000-Punkte-Marke steigt, dürften wir in Europa auch wieder verstärkt Börsengänge von Biotech-Firmen sehen", prophezeit der DIB-Vorstand.
NUR WENIGE UNTERNEHMEN IN GEWINNZONE
Noch zehren einige Unternehmen von den Reserven aus den fetten Jahren des Börsen-Booms, als Risiko-Kapitalgeber und Aktionäre mit immensen Summen auf die Entwicklung neuer Medikamente und diagnostischer Methoden setzten. Doch mit Qiagen und Evotec OAI haben nur wenige Unternehmen den Sprung in die Gewinnzone geschafft.
"Derzeit gibt es in Deutschland rund 320 Biotech-Firmen und die Branche rechnet damit, dass in den kommenden Jahren rund 25 bis 40 Prozent durch Insolvenzen oder Übernahmen verschwinden werden", erklärt Stadler."Wir werden wieder eine normale Reiseflughöhe erreichen und eine Branche, die zwar weniger, aber deutlich stärkere Firmen beinhalten wird", kommentiert Stadler den anhaltenden Konsolidierungsprozess. In den vergangenen Jahren haben zwischen 50 und 100 Biotech-Unternehmen den Gang zum Insolvenzrichter angetreten.
2004 sollen 250 Millionen Euro aus Berlin und 250 Millionen Euro aus Brüssel in die deutsche Biotech-Branche fließen. Diese Gelder sollen in sogenannte Risiko-Kapital-Fonds (VC-Fonds) gehen, die damit jedoch auch hauptsächlich die Biotechs mit Ausrichtung Produktentwicklung finanzieren dürften, und damit nicht der Masse der Biotech-Firmen zur Verfügung stehen, gibt Stadler zu Bedenken./ep/zb