Montag, 09.Juli 2001
Berlin, 23:19 Uhr
An den Schwellenmärkten zucken die ersten Blitze
Die Angst vor der Emerging-Markets-Krise geht um: Lateinamerika steht auf der Kippe - Osteuropa und Asien leiden unter Konjunkturflaute - Hedge-Fonds bringen sich in Stellung
Frankfurt/Main - Aus den Schwellenländern droht neues Ungemach: Nach dem Streit über Finanzhilfen für die Türkei sowie Sorgen über eine Überschuldung Argentiniens wächst die Angst vor einer übergreifenden Finanzkrise in den Emerging Markets. "Einige Emerging Markets sind dem Abgrund nahe", sagt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Es gibt eine Fülle von Brandherden, die sich zum Flächenbrand für die Schwellenländer entwickeln könnten."
Schon jetzt sind Vorboten einer möglichen Krise unübersehbar. Einige Emerging-Markets-Währungen gingen in den freien Fall über. Selbst osteuropäische Währungen, die bisher als krisenresistent galten, gerieten in den Abwärtsstrudel. Nachdem etwa der polnische Zloty am Freitag bereits vier Prozent zum Dollar eingebüßt hatte, ging es zu Wochenbeginn weitere vier Prozent in die Tiefe. Gleichzeitig kamen die Anleihemärkte unter Druck. Der Emerging Markets Bonds Index (EMBI+), der die Renditedifferenz zu US-Staatsanleihen misst, kletterte um zwei Basispunkte auf 811. Damit müssen die Schwellenländer Investoren im Durchschnitt eine um über acht Prozent höhere Rendite zahlen als die Vereinigten Staaten.
Vor allem die globale Konjunkturabkühlung macht den aufstrebenden Ländern zu schaffen. Rückläufige Wachstumsraten in den USA und Europa sowie rezessive Tendenzen in Japan schlagen überdurchschnittlich auf die Emerging-Markets-Volkswirtschaften durch. Denn die Schwellenländer sind zum großen Teil auf Exporte in die reiferen Märkte angewiesen. Zur Konjunkturschwäche gesellt sich die allgemeine Risikoangst der Anleger. Nachdem sich Investoren an den Technologiemärkten eine blutige Nase geholt haben, verbannen sie jegliche Risiken aus ihren Portfolios und drehen den aufstrebenden Märkten den Geldhahn ab. Die Kombination aus rückläufiger Konjunktur und Anlegerflucht wird zum explosiven Gemisch, da sie zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Statt die Zinsen zu senken und damit die eigene Wirtschaft zu stimulieren, müssen Länder wie Brasilien oder Argentinien die Zinsen noch erhöhen, um die eigene Währung zu stützen. "Die hohen Raten würde schon gesunde Volkswirtschaften in Bedrängnis bringen, Wackelkandidaten können sie das Genick brechen", sagt Walter.
Als gefährdet gelten Argentinien, Brasilien und die Türkei. Sie könnten den Auslöser für eine globale Krise liefern. Insbesondere Argentinien hat Probleme, seine an den Dollar gebundene Währung Peso stabil zu halten. Schon jetzt spekulieren Hedge-Fonds gezielt auf einen Kollaps des Peso. Sollten die Fondsmanager Erfolg haben, dürfte auch die finanzielle Lage bedrohlich werden. "Argentinien hat 20 Prozent aller Schwellenmärkte-Anleihen begeben", sagt Rainer Schäfer, Analyst bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. "Wenn das Land in eine Schieflage gerät, wird ganz Lateinamerika Probleme bekommen."
Als anfällig gilt auch die Türkei. Nachdem die Reformen ins Stocken geraten sind, stoppten sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Weltbank ihre Hilfsprogramme. "Die Finanzlage der Türkei ist bedrohlich", sagt Schäfer. Hier sei noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Etwas entspannter ist die Lage in den asiatischen Schwellenländern. Hier droht angesichts solider Budgets und Leistungsbilanzüberschüssen zwar kein finanzieller Kollaps. Dennoch leiden die Länder unter dem Wirtschaftsabschwung. "Malaysia und Korea sind wegen ihrer Ausrichtung auf den Export von High-Tech-Produkten besonders betroffen", sagt Schäfer.
Relativ ungeschoren blieben bislang China und Russland. China entwickelte eine Sonderkonjunktur, Russland profitierte von den stark gestiegenen Ölpreisen. Beide Märkte seien inzwischen stark für Gewinnmitnahmen. meinen Experten. Insgesamt raten sie gegenwärtig denn auch von einem Engagement in den Schwellenländern ab. "Für Anleger drängen sich die Emerging Markets derzeit nicht unbedingt auf", sagt Alexander Karpov, Fondsmanager bei Union Investment. Vor einem Aufschwung müssten sich erst die Konjunktur stabilisieren und die Risikofreude der Anleger zurückkehren.
www.welt.de/daten/2001/07/10/0710fi266717.htx
Berlin, 23:19 Uhr
An den Schwellenmärkten zucken die ersten Blitze
Die Angst vor der Emerging-Markets-Krise geht um: Lateinamerika steht auf der Kippe - Osteuropa und Asien leiden unter Konjunkturflaute - Hedge-Fonds bringen sich in Stellung
Frankfurt/Main - Aus den Schwellenländern droht neues Ungemach: Nach dem Streit über Finanzhilfen für die Türkei sowie Sorgen über eine Überschuldung Argentiniens wächst die Angst vor einer übergreifenden Finanzkrise in den Emerging Markets. "Einige Emerging Markets sind dem Abgrund nahe", sagt Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Es gibt eine Fülle von Brandherden, die sich zum Flächenbrand für die Schwellenländer entwickeln könnten."
Schon jetzt sind Vorboten einer möglichen Krise unübersehbar. Einige Emerging-Markets-Währungen gingen in den freien Fall über. Selbst osteuropäische Währungen, die bisher als krisenresistent galten, gerieten in den Abwärtsstrudel. Nachdem etwa der polnische Zloty am Freitag bereits vier Prozent zum Dollar eingebüßt hatte, ging es zu Wochenbeginn weitere vier Prozent in die Tiefe. Gleichzeitig kamen die Anleihemärkte unter Druck. Der Emerging Markets Bonds Index (EMBI+), der die Renditedifferenz zu US-Staatsanleihen misst, kletterte um zwei Basispunkte auf 811. Damit müssen die Schwellenländer Investoren im Durchschnitt eine um über acht Prozent höhere Rendite zahlen als die Vereinigten Staaten.
Vor allem die globale Konjunkturabkühlung macht den aufstrebenden Ländern zu schaffen. Rückläufige Wachstumsraten in den USA und Europa sowie rezessive Tendenzen in Japan schlagen überdurchschnittlich auf die Emerging-Markets-Volkswirtschaften durch. Denn die Schwellenländer sind zum großen Teil auf Exporte in die reiferen Märkte angewiesen. Zur Konjunkturschwäche gesellt sich die allgemeine Risikoangst der Anleger. Nachdem sich Investoren an den Technologiemärkten eine blutige Nase geholt haben, verbannen sie jegliche Risiken aus ihren Portfolios und drehen den aufstrebenden Märkten den Geldhahn ab. Die Kombination aus rückläufiger Konjunktur und Anlegerflucht wird zum explosiven Gemisch, da sie zur Handlungsunfähigkeit verdammt. Statt die Zinsen zu senken und damit die eigene Wirtschaft zu stimulieren, müssen Länder wie Brasilien oder Argentinien die Zinsen noch erhöhen, um die eigene Währung zu stützen. "Die hohen Raten würde schon gesunde Volkswirtschaften in Bedrängnis bringen, Wackelkandidaten können sie das Genick brechen", sagt Walter.
Als gefährdet gelten Argentinien, Brasilien und die Türkei. Sie könnten den Auslöser für eine globale Krise liefern. Insbesondere Argentinien hat Probleme, seine an den Dollar gebundene Währung Peso stabil zu halten. Schon jetzt spekulieren Hedge-Fonds gezielt auf einen Kollaps des Peso. Sollten die Fondsmanager Erfolg haben, dürfte auch die finanzielle Lage bedrohlich werden. "Argentinien hat 20 Prozent aller Schwellenmärkte-Anleihen begeben", sagt Rainer Schäfer, Analyst bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. "Wenn das Land in eine Schieflage gerät, wird ganz Lateinamerika Probleme bekommen."
Als anfällig gilt auch die Türkei. Nachdem die Reformen ins Stocken geraten sind, stoppten sowohl der Internationale Währungsfonds als auch die Weltbank ihre Hilfsprogramme. "Die Finanzlage der Türkei ist bedrohlich", sagt Schäfer. Hier sei noch kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.
Etwas entspannter ist die Lage in den asiatischen Schwellenländern. Hier droht angesichts solider Budgets und Leistungsbilanzüberschüssen zwar kein finanzieller Kollaps. Dennoch leiden die Länder unter dem Wirtschaftsabschwung. "Malaysia und Korea sind wegen ihrer Ausrichtung auf den Export von High-Tech-Produkten besonders betroffen", sagt Schäfer.
Relativ ungeschoren blieben bislang China und Russland. China entwickelte eine Sonderkonjunktur, Russland profitierte von den stark gestiegenen Ölpreisen. Beide Märkte seien inzwischen stark für Gewinnmitnahmen. meinen Experten. Insgesamt raten sie gegenwärtig denn auch von einem Engagement in den Schwellenländern ab. "Für Anleger drängen sich die Emerging Markets derzeit nicht unbedingt auf", sagt Alexander Karpov, Fondsmanager bei Union Investment. Vor einem Aufschwung müssten sich erst die Konjunktur stabilisieren und die Risikofreude der Anleger zurückkehren.
www.welt.de/daten/2001/07/10/0710fi266717.htx