MÜNCHEN (dpa-AFX) - Wochenlang war über den Rücktritt von
Siemens-Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer spekuliert worden. Doch als sich
der 66-Jährige am Donnerstag kurz vor Mitternacht dem Druck in der
Schmiergeld-Affäre beugte und seinen Rückzug bekannt gab, kam die Entscheidung
zu diesem Zeitpunkt für viele überraschend. 'Das ist schon ein Schock und für
ihn auch tragisch', sagte ein Unternehmenskenner. Schließlich war Pierer lange
Zeit das prägende Gesicht bei Deutschlands größtem Elektrokonzern. Vor rund 38
Jahren hatte er seine Karriere bei Siemens begonnen und mehr als 14 Jahren als
Vorstandsvorsitzender erfolgreich an der Spitze gestanden. Auch nach seinem
Wechsel in den Aufsichtsrat liefen noch viele Fäden in seinem Büro in der
feudalen Konzernzentrale am Wittelsbacher Platz in München zusammen.
Die Entscheidung ist Pierer nicht leicht gefallen. Mit grauem Gesicht und
ernster Miene bereitete er am Donnerstagabend in der Zentrale seine
Rücktrittserklärung vor. Lange hatte er persönliche Konsequenzen entschieden
abgelehnt. 'Ich würde es als eine Art Fahnenflucht empfinden, wenn ich mich
nicht an der Aufklärung beteiligen würde', sagte er. Ein Rücktritt werde ihm nur
als eine Art Schuldeingeständnis interpretiert, er habe sich aber nichts
vorzuwerfen. Daher waren in den vergangenen Tagen viele im Umfeld davon
ausgegangen, dass Pierer zumindest bis zum Ende der laufenden Amtsperiode Anfang
2008 durchhalten würde.
Doch am Ende war der Druck zu groß. Schließlich war in der Amtszeit Pierers das
System schwarzer Kassen aufgebaut worden. Während Pierer öffentlich den Kampf
gegen Korruption ausrief, verschwand eine dreistellige Millionensumme in
schwarzen Kassen. Das Geld soll im Ausland als Schmiergeld eingesetzt worden
sein. Zudem steht der Konzern im Verdacht, die Arbeitnehmerorganisation AUB mit
Millionenzahlungen geschmiert zu haben. Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer
meinte mit Blick auf die Verantwortung der früheren Führung, er könne sich nicht
vorstellen, dass mehrere hundert Millionen Euro am Vorstand vorbeimanövriert
werden könnten. 'Wenn dies aber doch der Fall sein sollte, dann würde ich sagen,
im Vergleich zum Siemens-Vorstand ist eine Bananenrepublik eine transparente
Einrichtung.'
Auch im Aufsichtsrat wurde der Ruf nach einem Neuanfang lauter. Sowohl Vertreter
der Kapitalseite als auch Arbeitnehmervertreter sollen Pierer zum Rückzug
gedrängt haben. Diese Diskussion auf der Aufsichtsratssitzung am kommenden
Mittwoch wollte sich Pierer nun ersparen. 'Ich gehe davon aus, dass die
Neubesetzung des Aufsichtsratsvorsitzes auch einen Beitrag leisten wird, unser
Unternehmen allmählich wieder aus den Schlagzeilen und in ruhigeres Fahrwasser
zu bringen', sagte er zu seinem Abschied./ax/DP/wiz/ep
---Von Axel Höpner, dpa---