Zbiggi über Georgien
von weissgarnix, 8. August 2008
Im Kaukasus knallt es also mal wieder, und eine goldene Regel, die ich seit Jahren befolge, lautet: “Wenn auf dem Balkan oder im Kaukasus was los ist, schnell bei Zbigniew Brzezinski nachlesen, was wohl dahintersteckt, und wie es vermutlich weitergehen wird.”
Das Buch, um das es dabei geht, nennt sich “Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft”, was im aktuellen Kontext natürlich ein ziemlich saublöder Titel ist, das Original “The Grand Chessboard” (Das große Schachbrett) träfe es da viel besser. Das Buch ist keineswegs neu, stammt aus 1997, tut aber seltsamerweise den Job noch immer wenn’s mal irgendwo auf der Welt wieder kracht, und die Amis mehr oder weniger direkt ihre Finger im Spiel haben.
Zu Herrn Brzezinski brauche ich wohl nicht viel zu sagen, wer mag, soll auf Wikipedia nachlesen, warum der Mann wohl den Durchblick hat, ich bescheide mich regelmäßig damit, ihn unkundigen Interessierten gegenüber den “Peter Scholl-Latour der Amis” zu nennen.
Aber was schreibt er nun konkret über Georgien (wie gesagt anno 1997) :
“Anders als in Armenien oder Aserbaidschan mit ihrer ethnisch recht homogenen Bevölkerung gehören etwa 30% der 6 Millionen Georgier ethnischen Minderheiten an. Überdies hegen diese kleinen Volksgruppen, die in ihrer Organisationsform und ihrem Selbstverständnis eher Stämmen gleichen, Groll gegen die georgische Herrschaft. Nach der Auflösung der Sowjetunion machten sich daher die Osseten und die Abchasen den innergeorgischen Machtkampf zunutze, um sich von Georgien abzuspalten. Dies geschah mit stillschweigender Rückendeckung Russlands, das Georgien zum Verbleib in der GUS (aus der sich Georgien anfangs gänzlich zurückziehen wollte) und zur Duldung russischer Militärbasen auf seinem Territorium zwingen wollte, um das Gebiet von der Türkei abzuriegeln.”
OK, halten wir also mal fest: die Lage ist bereits explosiv, obwohl von den Amis weit und breit noch nix zu sehen ist, zumindest direkt nicht. Die Russkis wollen sich lediglich gegen die Türken abriegeln, und die wiederum sind bekanntlich mit den USA eng verbündet, daher zeichnet sich das große Drama zwar in der Morgendämmerung bereits etwas schwammig ab, darüberhinaus gibt’s aber nichts konkretes.
Gleichwohl sind den Amerikanern die strategischen Nöte der Russen im Hinblick auf die ehemaligen Sowjetstaaten und ihre Nachbarn durchaus bewußt:
“Der Umstand, dass zwei der größeren angrenzenden Nationalstaaten - Türkei und der Iran - jeder mit einem historisch gewachsenen imperialen, kulturellen, religiösen und ökonomischen Interesse in der Region, in ihrer geopolitischen Orientierung unberechenbar sind und zudem selbst mit internen Problemen zu schaffen haben, verstärkt die Instabilität des eurasischen Balkan gravierend und macht die Lage noch explosiver.”
In Sachen Georgien ist es zudem von Interesse, darauf zu gucken, was die Ukraine so treibt. Wie wir von den gescheiterten NATO-Beitrittsgesprächen anfang des Jahres wissen, treten die beiden Länder gerne im Doppelpack auf, und das kommt nicht von ungefähr:
“Auch die Rückendeckung, die die Ukraine den nach größerer Unabhängigkeit strebenden Staaten gibt, verfolgt den Zweck, die eigene Unabhängigkeit gegenüber Moskau zu stärken. So hat die Ukraine die Anstrengungen Georgiens unterstützt, aserische Ölexporte über sein Gebiet zu leiten. Darüber hinaus tat sie sich mit der Türkei zusammen, um den russischen Einfluß im Schwarzen Meer zu schwächen, und unterstützte die türkischen Bemühungen, Erdöl von Zentralasien in türkische Terminals zu leiten.”
Übrigens, falls es an dieser Stelle noch nicht klar geworden sein sollte: mit Georgien/Ukraine in der NATO und der Türkei in der EU, wären wir in dieser sich entwickelnden Tragödie bereits samt und sonders live dabei. Aber auch das ist beilebe nichts neues, und war unserem Zbiggi bereits 1997 klar:
“Außenpolitisch wünschen sich Georgien und Armenien (obwohl letzteres von russischer Unterstützung gegen Aserbaidschan abhängig ist) eine zunehmend engere Anbindung an Europa.”
Tja, warum wohl? Auftritt USA:
“Ermutigt durch die Türkei und die USA, hat Aserbaidschan nicht nur die Forderungen Russlands zurückgewiesen, auf seinem Boden Militärbasen zu errichten, sondern sich auch dem Ansinnen Moskaus widersetzt, daß alles Öl von Baku zu einem russischen Schwarzmeerhafen geleitet werden sollte. Stattdessen entschied es sich für eine Doppellösung, die eine zweite, durch Georgien zur Türkei verlaufende Ölleitung, vorsieht.”
Keine blöde Idee aus Sicht der Aserbaidschaner und der Georgier, aber ziemlich übel aus der Sicht der Russkis. Und spätestens jetzt wird allen klar, wenn es da mal richtig heiss wird in dieser Küche, dann haben nicht nur 2 Köche ihre Finger im Spiel, sondern eine halbe Großkantinenmannschaft. Das wird dann ratzfatz ein Fall für die NATO, und selbst solch traditionell pazifistische Nationen, die sich bislang maximal am Hindukusch “selbstverteidigt” haben, sind dann plötzlich mit im Boot. Also alles nicht sehr schön.
Und warum findet sich das jetzt überhaupt alles im Büchlein eines ehemaligen Präsidentenberaters für Sicherheitsfragen zu den “geostrategischen Optionen der USA”?
“Amerikas primäres Interesse muß folglich sein, mit dafür zu sorgen, daß keine einzelne Macht die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und die Weltgemeinschaft ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihr hat.”
Alles klar, liebe Freunde von der politisch korrekten Front? Hier geht’s weder um Menschenrechte, Selbstbestimmung oder ähnlich esoterische Dinge, sondern um geostrategisches Powerplay! Das war zwar in der Geschichte nie anders und muß uns weder wundern noch stören, aber nur damit keine Missverständnisse aufkommen, wenn demnächst wieder wohlklingende UN-Resolutionen mit derlei humanistischen Euphemismen durch die Gegend geistern.
Was jetzt die Georgier betrifft, spielen sie im großen Konzert selbst leider nur die zweite Geige:
“Die Staaten, die Amerikas stärkste geopolitische Unterstützung verdienen, sind Aserbaidschan, Usbekistan und die Ukraine, da alle drei geopolitische Dreh- und Angelpunkte darstellen.”
Too bad for you, liebe Georgier. Aber kleiner Tipp von der Tribüne: haltet Euch weiterhin an die Ukraine, dann funzt das schon irgendwie mit der politischen und militärischen Unterstützung.
Treppenwitz am Rande:
“In dieser Region hat Amerika ein gemeinsames Interesse nicht nur mit einer stabilen, prowestlichen Türkei, sondern auch mit dem Iran [!] und mit China. Eine allmähliche Verbesserung in den amerikanisch-iranischen Beziehungen würde den globalen Zugang zur Region erheblich erweitern und insbesondere die unmittelbare Bedrohung abwenden, der Aserbaidschans Überleben ausgesetzt ist.”
By the way, jetzt sollte auch verständlich werden, warum die USA so sehr darauf dringen, dass die Türkei Mitglied der EU wird. Falls doch nicht, hier ein letztes Statement von Pan Brzezinski:
“Ausschlaggebend für die Zukunft der Kaukasusrepubliken dürfte die weitere Entwicklung und politische Orientierung der Türkei sein. Wenn sie ihren Kurs auf Europa beibehält - und wenn Europa ihr nicht die Türen zuschlägt -, werden die Kaukasusstaaten vermutlich in den Einflußbereich Europas streben, eine Aussicht, die sie glühend herbeisehnen. Aber wenn die Europäisierung der Türkei aus innenpolitischen oder äußeren Gründen ins Stocken gerät, dann wird Georgien und Armenien keine andere Wahl bleiben, als sich Russlands Willen anzupassen.”
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