KOMMENTAR VON TARIK AHMIA
Gestern kam kein Tropfen russischen Öls mehr in Deutschland an. Der Hahn an der Pipeline, die durch Weißrussland führt, war abgeklemmt. Hintergrund ist der Streit der einstigen Bruderstaaten über deutlich erhöhte Energiepreise aus Russland. Der Öllieferstopp sorgte international für Unruhe. Schließlich geht es um keine Lappalie: Die "Druschba"-Pipeline deckt immerhin 20 Prozent des Deutschen Rohölbedarfs. Müssen deutsche Autofahrer bald in langen Schlangen vor den Tankstellen ausharren oder Menschen in ihren Wohnzimmern frieren?
Wohl kaum: Denn der Zwist zwischen Russland und der Präsidialdiktatur von Alexander Lukaschenko fällt weltweit kaum ins Gewicht. Der milde Winter sorgt für niedrige Ölpreise, der Lieferausfall aus Russland könnte durch andere Anbieter schnell gedeckt werden. Der Streit zwischen den ehemals sozialistischen Brüdern wird wahrscheinlich geklärt sein, lange bevor die strategischen Ölreserven Deutschlands bedroht sind.
Als Bürger einer reichen Industrienation können wir uns erst einmal beruhigt zurücklehnen. Denn Russlands Präsident Putin ist berechnend und würde seine Energielieferungen an zahlungskräftige Abnehmer niemals gefährden. Schließlich finanzieren die reichen Länder seine Macht und den Wiederaufstieg Russlands zum nach Saudi-Arabien zweitgrößten Erdölexporteur der Welt.
Deutschland und andere Industrieländer können den skrupellosen Putin zu ihren besten Freunden zählen, weil sie ihm genügend Dollars rüberreichen können. Anders sieht es für ärmere Länder aus. Mit russischen Freundschaftspreisen für Gas und Öl, die für einige Exsowjetrepubliken lange galten, ist endgültig Schluss. Putin benutzt Energiepolitik, um seinen politischen Einfluss dort wieder zu erhöhen. Aber auch in Entwicklungsländern hängt der wirtschaftliche Fortschritt immer stärker von den Preiskapriolen auf den Energiemärkten ab.
Solche Erfahrungen bleiben den deutschen Bürgern wohl noch eine Weile erspart. Doch langfristig werden auch sie nicht an der Erkenntnis vorbeikommen: Erdöl ist ein endliches Gut. Auf Sonne und Wind zu setzen schützt am besten vor Preisdiktaturen.
taz vom 9.1.2007, S. 1, 62 Z. (Kommentar), TARIK AHMIA